Rotkaeppchen war gerade dabei, ein frohes Jugendleben zu entfalten, da kehrte die Mutter von der Versammlung der Haus- und Hofgemeinschaft zurueck.
Sie begruesste das Rotkaeppchen mit der Losung Junger Pioniere: "Bildet Timur-Trupps und helft unseren Parteiveteranen bei der verlustlosen Einbringung der Gartenernte!"
"Rotkaeppchen" -schlussfolgerte sie "nimm in dein Aktionsprogramm auch einen Besuch bei der Grossmutter, der verdienten Parteiveteranin, auf! Ueberreiche ihr aus Anlass des 15-jaehrigen Jubilaeums der Rentenerhoehung ein Stueck Obstkuchen mit Schlagcreme und eine Weinflasche mit Fassbrause. Sie werden die Grossmutter staerken zu guten Taten fuer den Sozialismus und im Kampf um die allseitige Durchsetzung der Neurermethoden auf dem Gebiet einer kulturvollen Heimgestaltung. Weiche nicht vom Bitterfelder Weg ab, und wenn du in den Wald gehst, ermahne dich zu erhoehter Wachsamkeit gegenueber den parteifeindlichen Umtrieben des boesen Wolfes. Seinen satirischen und dogmatischen Einfluesterungen, die vom Klassenfeind diktiert sind, darfst du nicht zum Opfer fallen. Vergiss nicht das blaue Halstuch und die rote Kappe.
"Seid bereit ! - Immer Bereit!" antwortete etwas traurig das Rotkaeppchen, denn es haette gern weiter ein frohes Jugendleben entfaltet. Aber eingedeckt der 10 Gebote der sozialistischen Moral und aufgrund seines kaempferischen Klassenbewusstsein schaetzte es die Perspektiven seiner jugendlichen Entwicklung richtig ein und machte sich auf den Weg. Bei seiner Wanderung kam das Rotkaeppchen an eine Wiese, die einen Ueberplanbestand schoener Blumen beinhaltete.
Dem Rotkaeppchen gelang es, diese ungenutzten Reserven aufzudecken und sie, unter Geringhaltung der Ausschussquote, fuer die Produktion eines Blumenstrausses zu erschliessen.
Als Rotkaeppchen gerade dabei war, in ihr Produktionsprogramm auch die Einfuehrung einer Pausengymnastik mit aufzunehmen, erschien der boese Wolf.
"Freundschaft" sagte der Wolf. "Was machst du denn hier?"
"Ich entwickle Initiative zum Besuch der Grossmutter und versuche neue Wege zu beschreiten."
"Lass uns eine Plandiskussion fuehren ueber den komplexen Einsatz bei der Veteranin." antwortete der Wolf, "Wir wollen beide als Kollektiv ein Kulturprogramm aufstellen und in Kooperation ein agitatorisch-propagandistisches Programm erstellen. Es stuermt die Hoehen der Kultur!" Doch im gleichen Augenblick wurde ihm ein Verbesserungsvorschlag bewusst. Er setzte den oekonomischen Hebel an und veraenderte den Planentwurf dahingehend, dass er im programmatischen Vorgehen in Teilabschnitten erst die Grossmutter und dann das Rotkaeppchen seinen Versorgungsplaenen einverleiben wollte. So verstiess er gegen die Richtlinien des Jugendfoerderungsprogramms, und Rotkaeppchen sah sich allein gelassen.
Kurz darauf stand der verbrecherische Wolf vor dem Wohnblock, in dem die Grossmutter durch Beziehung im Veteranenclub eine Parterrewohnung bekommen hatte. Eingedeckt der Devise "Jeder Mann an jedem Ort, einmal in der Woche Sport" sprang er durch das - entgegen den Vorschriften der staatlichen Versicherung der DDR - offenstehende Fenster. Mit der kranken Grossmutter liess er sich auf keine Diskussion ein, sondern diktierte der Grossmutter unter Missachtung der Beratung durch die Fuehrungsgremien einseitig seine Meinung, indem er sie einfach auffrass. Danach versuchte der gefaehrliche Agent sich zu tarnen.
Er zog Grossmutters Nachthemd aus Dederon an und legte sich mit dem Krankenschein der SVK in der Pfote ins Bett. Nach einer kurzen Weile, in dem Bestreben, die Wartezeit zu verkuerzen, betrat auch Rotkaeppchen die AWG-Wohnung der Grossmutter. Als Rotkaeppchen die unrealistische Grossmutter erblickte, erschrak es sehr.
"Grossmutter, warum hast du so grosse Augen?"
"Ich habe eine Halbtagsbeschaeftigung als Gueterkontrolleur angenommen!"
"Aber Grossmutter, warum hast du dann so grosse Ohren?"
"Ich betaetige mich als ehrenamtlicher Mitarbeiter des Ministeriums fuer Staatssicherheit!" "Grossmutter, warum hast du aber einen so grossen Mund?"
"Weisst du denn nicht, dass ich Chefkommentator beim demokratischen Rundfunk war?"
Der Wolf beendete die kaempferische Auseinandersetzung durch positive Ueberzeugungsarbeit, indem er auch das Rotkaeppchen mit Haut und Haaren auffrass. Dann legte er sich schlafen und produzierte Schnarchtoene der Gueteklasse "Q" im Weltmassstab. Mit einem "Spatz" vom VEB Simson-Suhl kam auf der Suche nach einer Vertragswerkstatt ein Mitglied des Jagdkollektivs daher. Zufaellig fuehrte der Jaeger seine Thaelmannsuperflinte 2. Wahl mit sich. Dem Wolf wurde das zum Verhaengnis, da er es an der noetigen Wachsamkeit hatte fehlen lassen. Mit Hilfe der Hinweise aus der Bevoelkerung gelang es dem Jaeger, den Wolf zu identifizieren und als Geheimagent der imperialistischen Ultras zu entlarven. Er realisierte die Toetung der scheusslichen Bestie und befreite das Rotkaeppchen und die Grossmutter aus dem Leibe des boesen Wolfes. Doch bevor sie den Tag der Befreiung mit Erstellung eines Kulturprogramms feierten, verfasste das Rotkaeppchen einen Artikel fuer die "Junge Welt", mit dem sie Kritik ihrer falschen Verhaltensweise annahm und sich vom vertrauensseligen Versoehnlertum dem Wolf gegenueber distanzierte.
Der Jaeger hatte durch seine Befreiung der Grossmutter und des Rotkaeppchens 2 Arbeitskraefte aus der nacharbeitenden Bevoelkerung zusaetzlich erschlossen und damit einen Zuwachs um etwa 2000,63 Mark erzielt. Er erhielt eine Praemie von 300,- Mark, ausserdem wurde ihm fuer seine Tat eine Aufbaustunde im Rahmen seiner Selbstverpflichtung im NAW angerechnet. Die Grossmutter zeichnete freiwillig einen Betrag zugunsten der Volkssolidaritaet, und das Rotkaeppchen liess sich von der Grossmutter die leere Weinflasche fuer die naechste Altstoffsammlung geben.
Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben alle drei noch heute.