Beim Kaffeetrinken kritisiert Marianne, dass ich immer so einen verkniffenen Gesichtsausdruck herumtragen würde. Das sei ja zum Fürchten; ich solle doch mal wieder so richtig von tiefsten Herzen lachen; das vertreibe die Flausen, und so weiter. Widerlich! Es klingt fast wie die Ratschläge aus dem Kummerkasten eines billigen Boulevard-Blatts!
Ich sage nichts dazu und schlürfe grimmig meinen Kaffee, während ich mir vorstelle, was ich nachher alles mit Mariannes Rechner anstellen könnte.

Nach dem Kaffeetrinken gehe ich um mich abzureagieren aufs Klo. Bei einem der Pissoirs ist der Zufluss durch die Spülung geringfügig stärker als der Abfluss verkraftet. (Ich könnte euch das jetzt mit ein paar partiellen Differentialgleichungen erklären, aber das hiesse ja Perlen vor die Säue werfen!) Ich stelle mich in die Lichtschranke und beobachte gespannt, wie der Wasserspiegel langsam ansteigt. Dieses Experiment hat immer eine beruhigende Wirkung auf meine Psyche. Manchmal komme ich sogar mit dem Grundkurs hierher (natürlich müssen die Studentinnen draussen bleiben!) und demonstriere anhand des Pissoirs anschaulich das Problem der nuklearen Abfallwirtschaft. Lerninhalte bleiben fester im Gedächtnis, wenn sie einem über die teueren Cowboy-Stiefel geplätschert sind, meine ich!
Nachdem das ganze Klo gründlich überschwemmt ist, gehe ich einigermassen befriedigt zurück in mein Büro und lasse die Schirme hochgehen.

Vielleicht hat ja Marianne sogar recht, grübele ich, während ich zerstreut die Email der RKfH nach Hinweisen über den Stand meiner Reisekostenabrechnungen scanne. Vielleicht sollte ich wirklich mal wieder lachen...
Ich gehe auf die WWW-Seite der CSU und studiere das Wahlkampfprogramm für die kommende Landtagswahl in Bayern. Fünfzehn Minuten später muss ich abbrechen, weil meine untrainierten Bauchmuskeln nicht mehr können.
Ein prüfender Blick in den Spiegel? Hmm, das war wohl etwas zuviel des Guten. Sieht so aus, als ob ich jetzt einen Krampf in den rechten Kiefermuskeln hätte!
Warum muss ich auch auf Marianne hören! Quatsch, das alles!

Der Chef reisst ohne Vorwarnung die Türe auf. Ausgerechnet jetzt!
"Ah... gut, dass ich Sie... ähm... äh... aber... aber... äh... wie schauen... ähm... schauen SIE denn aus...?"
Der Chef starrt mir leicht aus der Fassung gebracht ins Gesicht. Ich gebe mir selber zwei kräftige Ohrfeigen, und die Kiefermuskeln beruhigen sich wieder.
"Nur ein kleines Experiment", beruhige ich den Chef. "Ich wollte... äh... testen, ob man... äh... auch durch Weisheitszahnlücken pfeifen kann..."
Der Chef gibt mir den speziellen 'Sie-sollten-mal-wieder-Urlaub-machen-Leisch'-Blick und erklärt dann, weswegen er eigentlich gekommen sei:
"...hmm... Sie wissen ja... ähm... dass... ja... dass unser Kollege... äh... Kollege Rinzling seit kurzem... hm... etwas eigen geworden ist.... äh... eigen was seine Angst vor... hmm.. . vor Ansteckung angeht, ja. Äh... er bat mich... ähm... ein neues Keyboard... hmmm... installieren zu dürfen... weil... weil... äh... sein altes... äh... verseucht sei..."
Der Chef wirft mir einen etwas ratlosen Blick zu, den er für so unbegreifliche Phänomene wie verlorengegangene Email reserviert hat. Ich sage ihm, dass ich mich sofort darum kümmern werde, und der Chef verschwindet erleichtert zum Golfspielen.

Ich zerre ein altes, aber sauberes Keyboard aus dem Schrotthaufen in Rechnerraum 2, beträufele es ausgiebig mit Domestos und marschiere zu Büro des Kollegen Rinzling. Natürlich ist die Türe fest verschlossen, und ich bemerke mit Interesse, dass er inzwischen auch die Fugen mit Tesamoll verkleistert hat. Ich klopfe und Kollege Rinzling fragt ungehalten von drinnen, was denn los sei. Ich brülle durch die geschlossene Türe, dass ich ein neues, garantiert virenfreies Keyboard für ihn hätte und dass er doch bitte die Türe aufschliessen solle, damit ich es installieren könne. Nach langem Zögern - seit seiner neuesten Marotte, dass wir ihn alle mit unseren Bakterien und Viren zu Tode bringen könnten, hat niemand, nicht mal die Putzfrau sein Zimmer betreten dürfen -, nach langem Zögern und Debattieren also reicht mir Rinzling eine Schutzmaske und ein paar Chirurgen-Handschuhe durch den Türspalt. Nachdem ich die gehorsam angelegt habe, lässt er mich tatsächlich mit dem Keyboard hinein.
In Rinzlings Büro schaut es aus wie in einer Apotheke, in der eine Schwadron von Hunnen nach Präservativen gesucht hat: überall liegen Medikamente und angebrochene Packungen mit Desinfektionstüchern herum, ein Luftbefeuchter rauscht in der Ecke leise vor sich hin, auf dem Rechner-Display sind Wegwerfmasken gestapelt und es stinkt bestialisch nach Sagrotan. Rinzling ist in die am weitesten entfernte Ecke zurückgewichen und trägt selbstverständlich ebenfalls Atemmaske und Handschuhe.
"Nönn mönnön nö nöm nö!", sagt er.
"Wie bitte?"
Ärgerlich lüftet Rinzling seine Maske etwas.
"Dann machen Sie mal zu!" wiederholt er.
"Ok", sage ich und gehe ans Werk.
Sein Rechner ist so verdreckt, dass kaum noch Luft durch den Ventilator geht. Ich lüfte diskret meine Maske und blase den Staub durch die Gitter. Computerstaub ist bei mir wirkungsvoller als Schnupftabak. Kollege Rinzling sieht ahnungsvoll, wie ich die Augen schliesse und tief Luft hole, er schreit noch verzweifelt: "Nein!" aber es ist schon zu spät. Mit einem gepfefferten Nieser fetze ich die Chirurgenmaske qür durch den Raum.
Rinzling taumelt entsetzt gegen sein Bücherregal, worauf noch mehr Staub herunterrieselt.
"Oh", sage ich bekümmert. "Entschuldigung! Wussten Sie eigentlich, dass in Ihrem Rechnergehäuse ein Schimmelpilz wächst? Nein? Da sollten Sie aber mal gegen vorgehen... Ist denn auf Ihrer Platte auch das neueste Sagrotan installiert?"
"Sagrotan?" fragt Rinzling mit schwacher Stimme. "Auf der Platte?"
"Ich meine natürlich das Anti-Virus-Programm", sage ich besorgt. "Sie haben doch hoffentlich die Viren-Warnung letzte Woche mitbekommen, oder?"
"Ja... nein. Aber das sind doch nur...äh... Computer-Viren, nicht wahr?"
"Aber das IST ja das SCHLIMME", sage ich und schaue ihn mit ernstem Blick an. "Die neuesten Microsoft-Word-Macro-Viren sind schon so komplex, dass sie über das Display sogar schon einfache Körperfunktionen des Users negativ beeinflussen können..."
"So ein Unsinn", murmelt Kollege Rinzling mit flackerndem Blick.
"Sie glauben mir nicht? Dann schauen Sie doch mal auf den Microsoft Web-Pages nach, unter Macro-Viren. Da werden Sie feststellen, dass dort zu dem Thema nur beruhigendes Gesäusel zu finden ist. So a la 'Ruhe bewahren ist erste User-Pflicht' und so weiter. Ein todsicheres Zeichen dafür, dass die Epidemie schon so weit fortgeschritten ist, dass man nur noch die unweigerliche Panik unter den infizierten Usern verhindern möchte..."
Kollege Rinzling schluckt hörbar und tastet mit zitternden Fingern nach einer Magnum-Flasche Doppelherz. Er nimmt einen kräftigen Schluck, der auch für ein Nilpferd ausgereicht hätte. Derweilen begucke ich das mitgebrachte Keyboard genauer.
"Ach! So was Dummes!" sage ich.
"W...was?"
"Jetzt habe ich statt des neuen Keyboards das alte von Frau Tronstiebel mitgebracht. Was bin ich nur für ein Schussel!"
Rinzling schnappt nach Luft. Frau Tronstiebel wurde nämlich im vorigen Monat wegen Verdachts auf offene TBC behandelt. Rinzling schnappt sich eine gigantische Flasche Desinfektionsmittel und beginnt mich hektisch damit einzunebeln. Dazu schreit er hysterisch im Diskant, ich solle SOFORT sein Zimmer verlassen und vorallem das verseuchte Keyboard mitnehmen. Geblendet von dem scharfen Zeug stolpere ich über seinen Rechner, worauf die noch drehende Festplatte sich mit einem charakteristischen 'Scritsch-du-du-du-daaah-tack!' verabschiedet. Ich krache in das andere Regal, und leere Ginseng-Flaschen prasseln auf mein Haupt. Klebrige Flüssigkeiten tropfen in meinen Kragen, und irgendein weisses medizinisches Pulver quillt explosionsartig durch den Raum und vermindert die ohnehin schon eingeschränkten Sichtverhältnisse. Endlich gelingt es mir, in einer gewaltigen Wolke keimtötenden Nebels ('Nebel des Grauens') auf den Gang zu stolpern. Hinter mir fällt die Türe krachend ins Schloss, der Schlüssel wird zweimal herumgedreht, und ich höre Rinzling drinnen weitersprühen, was die Flasche hergibt.

Auf dem Weg zurück zu meinem Büro begegnet mir Marianne mit einem Stapel Zeitschriften auf den Armen. Ihre Pupillen weiten sich entsetzt, dann rümpft sie angewidert die Nase.
"Was ist denn mit dir passiert, um Himmels Willen? Und warum grinst du so dämlich?"
"Ich hab' nur gerade mal wieder gelacht, so richtig..."

© Copyright Florian Schiel 1998