FREUNDLICHER HINWEIS:
Das folgende ist für jemanden, der nicht im aktiven Universitätsleben steht so wie ich, nur sehr schwer verständlich. Wenn ihr nach dem Genuss dieser Geschichte plötzlich das Verlangen habt, euren letzten Steuerbescheid hervorzuholen und darüber zu jammern, was mit euren Steuergeldern für Schindluder getrieben wird, geht sofort auf www.spiegel.de oder www.focus.de und lest über die letzten deutschen Politskandale. Danach werdet ihr euch zwar nicht besser fühlen, aber dann habt ihr wenigstens Grund, RICHTIG zu jammern...
Wer heutzutage als Ass(i) an der Uni arbeitet, ist nicht nur immer der Gearschte, weil er die Arbeit eines Top-Managers macht, aber nur das Gehalt eines Müllfahrers bekommt, sondern es wird auch noch von ihm erwartet, dass er mindestens einmal in drei Jahren so ganz nebenher einen wissenschaftlichen Workshop veranstaltet. So was macht sich eben immer gut im CV ('csurriculum vitae'). Wo doch so was gar kein Problem ist; das kann man doch locker in seiner Freizeit organisieren, zusammen mit dem Korrigieren von Klausuren, dem Querlesen der Studenten-Email und dem periodischen Abschiessen von feindlichen Windoofs-Rechnern! (Falls ihr es nicht mitbekommen habt: das eben war tiefster, zähneknirschendster Sarkasmus!)
Wenn wir schon mal beim Thema sind: Gerade lese ich in www.heise.de, dass die deutschen Beamten die nächsten zwei Jahre lang nur Gehaltsaufbesserungen in Höhe der Inflationsraten erhalten sollen. Na, da sind wir aber wirklich froh!
Froh macht uns natürlich die Tatsache, dass unsere Politiker heute schon genau wissen, wie hoch die Inflationsrate im nächsten Jahr (1,1%) sein wird. Eigentlich kann uns doch da gar nix passieren, wenn wir genial-visionäre Volksverräter... pardon... Volksvertreter haben, die so problemlos in die Zukunft schauen können! Ich werde demnächst mal persönlich bei den Herren vorsprechen; vielleicht können sie mir ja dann auch die genauen Aktienkurse von SAP für das Jahr 2001 anvertrauen; nur so als kleiner Ausgleich für die Inflationsratenbezügeerhöhung...
Zurück zum Problemfeld Workshop: Da auch mein CV in letzter Zeit ziemlich jungfräulich aussieht, organisiere ich eben auch so ein Ding zum Thema:
'Theoretische Aspekte von Semi-Conducting Hyper-Wavelets in Angewandter Lingualer Logik' (TASCHWALL).
Im Geheimkode erfahrener Uni-Assistenten bedeutet die Tatsache, dass im Titel die Wortkombination 'Theoretische Aspekte' vorkommt, dass auf diesem Workshop allenfalls lauwarme Luft produziert wird und niemand ernsthafte Arbeit zu investieren braucht. Den Termin für TASCHWALL lege ich auf die erste Oktoberfestwoche, um das Ganze wissenschaftlich etwas attraktiver zu gestalten. (Natürlich muss der Workshop eine ganze Woche dauern, damit wir die fetten Zuschüsse von der DFG bekommen, mit denen wir schon fast das ganze Konferenz-Bankett bestreiten können.) Dann schicke ich Einladungen an sorgfältig handverlesene Wissenschaftler, die mit dem Pseudothema gar nichts zu tun haben, aber alle bei früheren Gelegenheiten angedeutet hatten, dass sie irgendwann gerne mal nach München kommen würden. Von denen kann ich dann auch getrost ausgehen, dass sie in ihrem 'Invited Paper' einen Slot lang ungefährliches, belangloses Schwafel liefern.
Um der Form zu genügen, veröffentliche ich natürlich auch einen offiziellen 'Call for Papers', wobei aber das wissenschaftliche Programm-Komitee, bestehend aus Frau Bezelmann, dem Chef (vertreten durch Nero) und mir, strikt angewiesen ist, praktisch alle eingereichten Vorschläge abzulehnen. Schliesslich wird das Niveau einer wissenschaftlichen Konferenz immer noch am Prozentsatz der abgewiesenen Paper gemessen. Mit 84% ist TASCHWALL zweifellos ganz an der Spitze! Ausserdem möchte ich keinesfalls den harmonischen Fortgang des Workshops durch irgendwelche kreativen Ideen stören; wo kämen wir dahin, wenn da jeder einfach erzählt, was ihm so ganz spontan eingefallen ist!
Ein Wochenprogramm für einen Workshop zu füllen, ist gar kein Problem:
Samstag: Anreise.
Sonntag: Registrierung (da einige Teilnehmer aus USA und Japan kommen, kann man am ersten Tag beim besten Willen nicht mehr verlangen; ausserdem ist da noch der Oktoberfestzug...).
Montag: Am Vormittag hält Frau Bezelmann eine sogenannte Keynote zum Thema: 'The Use of Semi-Conducting Hyper-Wavelets in Armed Chain-Driven Vehicles'. Da sie von ihrem Fahrkurs mit gepanzerten Kettenfahrzeugen letztes Jahr umfangreiches Videomaterial mitgebracht hat, füllen wir damit mühelos den ganzen Vormittags-Slot. Ausserdem können sich die Workshop-Teilnehmer unauffälliger von den Strapazen des Sonntags erholen, wenn die meiste Zeit langweilige Videos gezeigt werden. Im Nachmittags-Slot - nach einer ausführlichen Mittagspause von drei Stunden - halten zwei alte Hasen jeweils ihre 'Invited Papers', die jeder der Anwesenden auf anderen Kongressen schon dreimal gehört hat. Einer geruhsamen Verdauung steht also nichts im Wege, so dass gegen abend alle wieder fit sind für den traditionellen Empfang, den wir der Einfachheit halber von einer der grossen Münchner Brauereien sponsern lassen.
Dienstag: Siehe Montag (mehr oder weniger dasselbe, nur dass ich selber die Keynote bestreite.)
Mittwoch: Freier Tag, damit die oktoberfest-gestressten Teilnehmer Gelegenheit zum Sightseeing finden.
Donnerstag: Ich lasse den Chef die Keynote halten. Er hat zwar zu unserem Pseudothema rein gar nichts beizutragen (wer hätte auch?), aber sein Auftreten hat infolge der jahrzehntelangen Praxis mit Erstsemester-Studenten immer wieder etwas Elektrisierendes an sich. Stellt euch einen Mini-Atomreaktor vor, der plötzlich am Rednerpult steht und im Halbdunkel bläulich zu schimmern beginnt. Was der Minireaktor sagt, ist völlig nebensächlich; er hat trotzdem die ungeteilte Aufmerksamkeit des Auditoriums. Ausserdem erhalten auf diese Weise die Teilnehmer ein beruhigendes Gefühl der eigenen Wichtigkeit zurück, das ihnen in den letzten Tagen vielleicht abhanden gekommen ist.
Für den Nachmittags-Slot kündige ich Paper von zwei Kollegen an, die ich nicht ausstehen kann, und die deshalb auch keine Einladung zu TASCHWALL bekommen haben. Natürlich müssen ihre Präsentationen dann wegen Nichtanwesenheit ausfallen, was einerseits ihrem wissenschaftlichen Ansehen schweren Schaden zufügt, andererseits aber von allen Workshop-Teilnehmern mit schlecht verhohlener Begeisterung aufgenommen wird, weil sie dadurch noch einmal einen Nachmittag auf der Wies'n verbringen können, der dann gleich zwanglos in das traditionelle Konferenzbankett in einem der Bierzelte übergehen kann.
Freitag: Schlussdiskussion und dann die grosse Schlusszeremonie, bei der sich alle kollektiv und kreuzweise über den Klee loben, wie gut doch dieser Workshop gelaufen sei, und dass man so etwas doch öfters machen sollte, vielleicht um die gleiche Zeit nächstes Jahr? Schulterklopf, schulterklopf, und wir sehen uns dann auf dem nächsten Workshop in Hawaii...
Samstag: Heimreise - theoretisch zumindest. Natürlich ist kein Mensch so blöd, am Samstag abzureisen, wenn in München gerade Oktoberfest ist...
So einfach ist das!
So einfach wäre das, wenn alle sich friedlich verhalten und sich an die Spielregeln halten würden! Dummerweise hat sich einer der eingeladenen Redner eine Mordserkältung zugezogen und als Ersatz einen seiner Doktoranden zum Workshop geschickt. Der junge Spund hat natürlich gar keine Ahnung, in was er da hineingeraten ist, und denkt, dass hier ernsthaft über Wissenschaft debattiert wird.
Das erste Anzeichen, dass etwas nicht so läuft wie geplant, bekomme ich schon nach Frau Bezelmanns Keynote: Obwohl jedem mit mehr als drei Gramm Grips im Hirn klar sein müsste, dass der Videovortrag nichts, aber auch gar nichts mit Wavelets zu tun hat, steht der Spund einfach auf und stellt eine Frage:
"Impliziert Ihr Beitrag nicht einen umfassenden Paradigmenwechsel in der Theorie der Wavelets?"
Als Vorsitzender kann ich die Katastrophe gerade noch abwimmeln. Bevor Frau Bezelmann eine bissige Bemerkung loslassen kann, sage ich:
"Was meinen Sie mit 'Paradigmenwechsel'?"
"Äh... wie bitte?" Der Spund glotzt verunsichert.
"Was ist ein Paradigma? Erläutern Sie bitte Ihre Frage!"
"Also... äh... ein Paradigma eben...", der Spund lacht nervös,
"... Sie wissen schon... eben ein Wechsel des Paradigmas... ähm..."
Ich ziehe die Augenbrauen zusammen und starre ihn an, ohne ein Wort zu sagen. In der Stille hört man die Lautsprecher summen. Der Spund wird langsam knallrot.
"... äh... ich meine... ein Parapara (schluck) Paradigmawechsel von... von... äh..."
"Ich glaube, wir klären das besser nach der Session", unterbreche ich streng das Gestammel. Der Spund sinkt wie ein angestochener Luftballon in einer Schweisspfütze zusammen.
Damit so etwas nicht mehr vorkommt, ergreife ich in der Mittagspause unverzüglich die notwenigen Massnahmen.
Ich fange den Spund ab, bevor er zum Mittagessen entfleuchen kann, und teile ihm mit, dass eine wichtige Email für ihn angekommen sei. Dann lotse ich ihn in das Büro unseres Prodekans, von dem ich weiss, dass er in wenigen Minuten, pünktlich wie die Darmstädter Atomuhr vom Mittagessen zurückkommen wird. Unser Prodekan Prof. Lüdenköter, ein leidenschaftlicher Rotschopf mit einem stattlichen Bierbauch, leidet seit neuestem an notorischem Verfolgungswahn. Insbesondere hat er sich in die Idee verbissen, dass er das zentrale Opfer einer internationalen Hackerverschwörung ist. Kann sein, dass das auch etwas mit dem Vorfall Ende letzten Jahres zu tun hat, als infolge mehrerer merkwürdiger, technischer Zufälle ein Teil seiner Email-Korrespondenz bei bayerischen Rechnungshof anstatt bei seinem Steuerberater abgeliefert wurde. Jedenfalls hat der Prodekan seit dieser unerfreulichen Geschichte seinen PC vom Netz trennen lassen und wittert hinter jedem, der weiss, wie man einen Rechner anschaltet, ein potentielles Mitglied der globalen Internet-Verschwörung.
Ich logge mich mit dem System-Passwort rasch in Lüdenköters Rechner ein, rufe einen Mailer auf und sage den Spund, dass er darin seine email finden könne. Dann verschwinde unauffällig. Später höre ich aus vierter oder fünfter Hand, dass der Prodekan jetzt tatsächlich endlich mal einen der Internetverschwörer auf frischer Tat ertappt habe. Wer hätte das gedacht! Also leidet der arme Mann gar nicht unter Verfolgungswahn! Er habe ihn auch gleich eigenhändig - der Prodekan war früher aktiver Boxer - beim BND in Pullach abgeliefert!
Von da an läuft der Workshop völlig reibungslos - wie ein Pentium III unter Linux.
© Copyright Florian Schiel 1999
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