Wenn es das Web noch nicht gäbe, müsste man es erfinden!

Frau Bezelmann hat mir einen Kurs bei ihrer Freundin Madame Black vermittelt. 'Grundlagen der traditionellen Esoterik' heisst das Ding harmlos. In Wirklichkeit geht es um handfeste mittelalterliche Hexerei!
Ich erkenne natürlich sofort die ungeahnten Potentiale dieses Hobbys, wenn man es mit zweitgemässer Technik kombiniert.

Als erstes Experiment lade ich das Bild von Sethimus Typhon, dem Bastard Bureaucrat from Hell der R.K.f.H., von seiner Web-Page und starte ein Skript, das alle fünf Minuten das Bild eines südkaledonischen Knöchelknackers (das ist ein ziemlich bösartiges Nagetier) so in Sethimus Konterfei morpht, dass es so aussieht, als würde mein Widersacher herzhaft in die griechische Nase gebissen. Zeitgleich startet ein Synthese-Programm, das die vorgeschriebenen Formeln Madame Blacks über den Lautsprecher leiert:

"Bienenstich und Nasenpein,
Nierenfrass mit Knochenschleim,
Webmaster in Lebertran,
Würger pack den Grobian!"

(Der 'Webmaster' stammt übrigens nicht von Madame Black, aber ich denke, dass es nicht schaden kann, auch die Formeln der neuen Technik etwas anzupassen!)
Aus vertraulichen Quellen erfahre ich am nächstenTag, dass Sethimus plötzlich unter einem hartnäckigem Ekzem auf der Nasenspitze leidet, und darüber wegen seiner angeborenen Eitelkeit fast wahnsinnig wird.

Das Telefon läutet und ich hebe ab.
"Spreche ich mit Brando Bardolino, dem EDV-Hellseher?" haucht eine zögernde weibliche Pieps-Stimme aus dem Hörer.
Ich bestätige mit sanfter, vertrauenserweckender(!) Stimme, dass dem so sei. Das erste, was ein erfolgreicher Hellseher haben muss, ist ein italienisch klingender Name - und eine Stimme wie Honig! Ich erkundige mich diskret nach ihrem Problem.
"Ja... ich weiss nicht... also eigentlich...", druckst sie herum. Dann gibt sie sich einen Ruck:
"Ich kann mein Word-Dokument nicht mehr drucken", flüstert sie mit vor Verlegenheit heiserer Stimme. "Und mein Chef wartet schon seit einer Stunde darauf.... und wenn er herauskriegt, dass ich das blöde Ding nur nicht drucken kann... und ich weiss nicht mehr was ich tun soll... und der Microsoft-Helpdesk konnte mir auch nicht weiterhelfen... können Sie... ich meine... können Sie vielleicht HELLSEHEN, wo das Problem liegt...?"
Der Microsoft-Helpdesk! Ich könnte die Jungs küssen! Zuallererst lasse ich mir natürlich ihre Kreditkartennummer geben. Dann frage ich:
"Sie haben doch einen Scanner an Ihrem Rechner, ja?"
Ja, sie hat natürlich.
"Sehr gut", sage ich, "starten Sie ein Scanner-Programm und legen Sie ihre linke, ich wiederhole, Ihre linke Hand mit der Handfläche nach unten auf den Scanner und machen sie ein Bild mit 75 dpi davon. Dann schicken Sie mir das Bild als attachment per email..."
Sie macht alles brav, wie es der grosse Brando Bardolino befiehlt.
Den Scan schiebe ich sofort in den Trash, aber aus dem Header der mail kann ich ihre IP-Adresse ersehen. Und während ich unverständliche Fetzen von atzekischen Bannsprüchen vor mich hin murmele und so tue, als würde ich in ihrer Handfläche lesen, hacke ich rasch ihre Windoofs-Kiste und starte WinSatan. Aha, natürlich hat nur das blöde Windoofs wieder mal die Drucker-Ports vertauscht, und ich behebe das rasch, bevor ich ein paar interessante Macro-Viren in ihren jüngeren Dokumenten verstreue und mir ihren CV für spätere Anrufe herunterkopiere.
Dann sage ich:
"Hmm... also die chirognomische Analyse ihrer Hand zeigt deutlich, dass Sie durchaus das Potential in sich tragen, den bösen Succubus in Ihrem Computer zu beherrschen..."
"...chirognomisch... Succubus...", flüstert sie begeistert. "Wirklich?"
"Aber ja!" sage ich zuversichtlich.
"Legen Sie jetzt beide Hände parallel auf den Bildschirm, so dass sie genau das bösartige Dokument bedecken, klemmen Sie die Maus fest zwischen Ihre Beine, schliessen Sie die Augen und sprechen mir laut und deutlich nach:

Windoofs-Graus und NT-Gnom
Bill im Gates, der spricht dir Hohn
Cache-Verdruss zur CPU,
Böser Gates, vergeh' im Nuh!"

Sie macht es tatsächlich! Und mit einer Inbrunst, die man eigentlich auch für andere Zwecke missbrauchen sollte... Hoffentlich kommt jetzt gerade ihr Chef herein, um sich sein Dokument abzuholen....
"Beati pauperi spiritu!" sage ich feierlich zum Abschluss. "Jetzt versuchen Sie noch einmal zu drucken!"
Natürlich funktioniert es jetzt. Die Kundin ist von der Sitzung hellauf begeistert.

Nicht alle Idioten... Verzeihung!... Nicht alle Kunden bringen gleich den Mut auf, den grossen Brando Bardolino direkt anzurufen. Um Schwellenängste abzubauen, habe ich auch eine vollautomatische Horror-Skop-Website eröffnet, die sich grosser Beliebtheit erfreut. Auf der ersten Seite wird stolz verkündet, dass die Trefferquote bei über 96% liegt. Genaugenommen ist das kein Wunder, wenn man einen Blick in die Dumb-Prophecy-Database wirft, aus der meine Horror-Skope per Zufallsgenerator zusammengestellt werden:

"Zum Monatsende steht Saturn im Transzendenten; folglich wird sich Ihre finanzielle Notlage aufbessern."
"Es wird kommende Woche regnen, möglicherweise aber auch mal die Sonne scheinen."
"Wenn Ihr Rechner vom Stromnetz getrennt ist, können Sie sicher vor Computer-Viren sein!"
"Der Dollar wird im Kurs steigen, falls der Euro weiter fällt."
"Falls es übermorgen nicht regnet, wird wahrscheinlich die Sonne scheinen!"
"Sagen Sie Ihrer Freundin etwas Nettes über ihre Schuhe - und sie wird Sie dafür lieben!"
"Sie werden noch diese Woche aufs Klo gehen!"
"Morgen scheint die Sonne, wenn es nicht gerade regnet!"
"Ihr Windoofs-Rechner wird innerhalb der nächsten Stunde abstürzen!"
"Wenn morgen die Sonne scheint, wird Ihr Windoofs-Rechner mindestens 2mal abstürzen!"

Pro verschicktem Spruch kassiere ich 25 Mark. Damit Sethimus auch was von der Sache hat, koppele ich das cgi-script mit meinem Morpher:
jedesmal, wenn ich 25 Mark kassiere, wird Sethimus' Konterfei 25mal in die Nase gebissen!

Wie gesagt: Wenn es das Web noch nicht gäbe, ...


© Copyright Florian Schiel 1999

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