Damit es so aussieht, als würde ich tatsächlich was für unser System tun, sitze ich schon um 11 Uhr morgens in meinem Büro und tippe folgende Mail an alle:
"An alle User:
In Vollzug der neuesten Verordnung der bayerischen Staatskanzlei vom zwoten Jenner 2001 muss ich sämtliche Besucher des LEERstuhls auf folgende Richtlinien zur Vermeidung von CSU ('computer seeded unhealthiness') hinweisen. Ab sofort sind am LEERstuhl absolut verboten:
- Computerspiele, in welchen Kühe, Stiere o. kuhähnliche Tiere modelliert werden.
- Semmeln mit Hirnwurst (Rinderhirn) oder Bierschinken oder Leberkäse im Umkreis von 2,3 Metern einer Workstation und 5,5 Metern im Umkreis von Servern.
- Handschuhe aus Rindsleder (bitte bei Frau Bezelmann im Sekretariat abgeben und beim Verlassen des LEERstuhls dort wieder abholen!)
- Gummibärchen und alle Süssigkeiten, die Gelatine enthalten könnten
- Echtleder-Fahrradsättel (Benutzer von solchen werden gebeten, diese ausserhalb des Universitätsgeländes zu deponieren und sich vor allem auf keine universitätseigenen Sitzgelegenheiten zu setzen!)
Im Bereich des Rechnerraums, der Bibliothek, der Hörsäle und der Labors (Räume 456-478, 512 und 516) sind ausserdem unerwünscht:
- Schuhe mit Rindsledersohlen (Plastiküberzieher bei Frau Bezelmann im Sekretariat!)
- Lederjacken ohne Zertifikat 'BSE-frei'
- Leder-Strapse und Leder-Dessous (Frau Bezelmann wird Stichproben-Kontrollen durchführen! Auch bei männlichen Studenten!)
- Kühe oder kuhverwandte Säugetiere (in Ausnahmefällen Genehmigung bei der Hausverwaltung einholen!)
- Lederpeitschen (Dozenten können bei entsprechender Dringlichkeit, z.B. Hauptseminare, eine Sondergenehmigung erhalten!)
Ausserdem ist das Einträufeln von gelatinehaltiger Fruchtyoghurt in die Disketten- und CDROM-Laufwerke zu unterlassen.
Rechner, die auffällige Muh-Geräusche von sich geben, sind sofort dem SysAdmin zu melden; desgleichen Kommilitonen oder Dozenten.
Haupt- und Nebenfachstudenten sowie alle Gasthörer, die dauernd auf oder in unmittelbarer Nachbarschaft zu einem landwirtschaftlichen Betrieb mit Milch- oder Mast-Wirtschaft leben, werden gebeten, ihre Laptops nicht mehr an den LEERstuhl mitzubringen, auf gar keinen Fall an das LEERstuhlinterne Netzwerk anzuschliessen. Das gleich gilt für Disketten, CDROMs oder Manuskripte. Alle übrigen privaten Laptops und PDAs müssen mindestens einmal pro Tag mit dem neuesten Virenscanner (erhältlich im Rechnerraum) desinfiziert werden.
Laptops oder PDAs, die obiger Vorschrift zuwider handeln, werden eingezogen, bei 135 Grad und 8 bar Dampfdruck sterilisiert, zu Silikonmehl verarbeitet und in der Sondermülldeponie Grosslappen verbrannt. Die Kosten hat der Besitzer des betroffenen Gerätes zu tragen."
Nach dieser Grosstat fahre ich erstmal die Schilde hoch und gehe in die Cafeteria, um mir eine doppelte LKS zu holen (wer nicht weiss, was eine LKS ist, sollte mal seine Mutter fragen; sie weiss es sicher, wird aber nicht mit der Sprache herausrücken). Kaum bin ich zurück in meinem Büro, läutet das rote Telefon. Pflichtbewusst wie ich bin, hebe ich ab und klemme mir den Hörer unters Kinn:
"Howo?" (ab 120g LKS im Mundraum ist eine gewisse Beeinträchtigung der sprachlichen Kommunikation über den Telefonkanal unvermeidbar; das haben jüngste Versuchsreihen an der Universität Weihenstephan ergeben)
"Hallo?" fragt eine nervöse, mir unbekannte Stimme. "Ist dort die Rechnergruppe?"
Wahrscheinlich eine von den neuen Graduierten im SCHWAFEL-Kolleg; niemand sonst würde es wagen, mich mit 'Rechnergruppe' zu titulieren.
BSE (Bull Shit Eloquence) MODE ON
Ich würge mühsam 80g LKS erst halb zerkaut hinunter und antworte freundlich (sic!):
"Nein. Hier ist leider nur der Bodenkosmetiker. Die Rechnergruppe... ähm...", ich krame nach meinem Ausredenkalender, "... alle Mitglieder der Rechnergruppe sind heute wegen... äh... auffälliger psychischer Symptome unter Beobachtung gestellt worden. Und ich beobachte derweil das Telefon, haha. Kann ich Ihnen trotzdem irgendwie helfen? Haben Sie Kaffee auf ihrem Teppich verschüttet?"
"Nein, nein! Ich habe ein Problem mit meinem Rechner... aber da können Sie mir ja leider nicht..."
"Vielleicht doch. Wo fehlt's denn?" frage ich schmeichelnd (sic!). "Manchmal kann man ja helfen..."
Sie lacht, aber dann rückt sie tatsächlich mit ihrem Problem heraus:
"Ich weiss auch nicht... Ich habe hier einen fast neuen Windows-Rechner und der spinnt einfach. Er behauptet, der Rechner sei überlastet, obwohl gar kein Programm läuft. Und wenn ich das Fenster wegklicke, passiert erstmal gar nichts und dann kommt es wieder. Und jetzt weiss ich nicht..."
"Sagten Sie gerade, Ihr Rechner spinnt?!"
"Ja... äh..."
"Also, tut mir leid. Ich bin ja kein Fachmann, aber das klingt für mich wie ein ganz normaler Windows-Rechner!"
"Wie? Aber... ähm... bisher hat er das doch noch nie gemacht...?"
"Na, dann seien Sie doch froh, dass er endlich Vernunft angenommen hat! Ein Windows-Rechner der, sich 'normal' verhält, kann nicht normal sein. Sagen Sie, haben Sie in letzter Zeit einen neuen Virenscanner laufen lassen?"
"Ähm... ja, doch. Heute morgen. Da war so eine Warnung von... ja, von der Rechnergruppe..."
Es ist doch immer wieder erfreulich, dass unsere User so gehorsam sind! Noch mehr freue ich mich darüber, dass der von mir modifizierte Virenscanner offensichtlich 1A funktioniert!
"Na, sehen Sie! Wahrscheinlich war Ihr Rechner so schwer infiziert, so dass er gar nicht mehr abstürzen konnte!!! Und jetzt haben Sie den Virus beseitigt und er funktioniert wieder einwandfrei, wie ein Windows-Rechner nur funktionieren kann!"
"Ich..."
" Sie können von Glück sagen! Wer weiss, was sonst noch alles passiert wäre; so ein anormales Verhalten ist immer ein schlechtes Zeichen! Ich hatte da mal einen funkelnagelneuen Mohair-Teppich, der hat nicht gefusselt. Können Sie sich das vorstellen? Der hat nicht gefusselt, kein kleines bisschen nicht!"
"Ja, aber..."
"Ich marschiere also in den Laden zurück und beschwere mich:
'Der Teppich fusselt nicht! Jeder Mohair-Teppich fusselt; das ist bekannt! Wieso fusselt also der meinige nicht, wo er doch noch ganz neu ist. Ich bestehe darauf, dass mein Teppich genauso fusselt, wie es sich für einen Mohair-Teppich gehört!' Der Verkäufer hat mich nur angeschaut und den Teppich sofort umgetauscht! Ohne ein Wort! Haha! Der wusste genau, dass man mich als Bodenpfleger nicht hinters Licht führen kann! Jetzt hab' ich einen Teppich, der fusselt, wie es sich gehört: zweimal täglich Bodenpflege! Ganz wie es sich gehört!"
"Ähm... entschuldigen Sie, ich..."
"Wenn ich Ihnen einen guten Rat geben darf: Falls das nochmal vorkommt - ich meine, wenn Ihr Rechner nicht mindestens fünfmal am Tag abstürzt - , sollten Sie bei Microsoft Garantieansprüche geltend machen. Sie haben doch hoffentlich noch Garantie drauf?!"
"Ich... äh... keine Ahnung! Ich..."
"Schliesslich haben Sie Anspruch auf ein einwandfrei funktionierendes Windows, oder?"
"Schon, aber... ach was, vergessen Sie's... ich... äh... ich ruf' vielleicht später nochmal an!"
"Tun Sie das", sage ich sanft, "ich habe gehört, wie die Sanitäter beim Abtransport gesagt haben, die Beobachtung kann höchstens zwei Monate dauern..."
"Zwei Monate! Ja, was... was haben die denn alle?"
"Keine Ahnung. Ich glaube, es hatte irgendwas damit zu tun, dass die SysAdmins in letzter Zeit zuviel mit Microsoft-Produkten zu tun hatten, und sich plötzlich in einer Art Massen-Psychose dafür entschieden haben, lieber für den Rest ihres Lebens Raumpfleger zu werden, als sich noch einen einzigen Tag länger mit Windows zu beschäftigen..."
© Copyright Florian Schiel 2001
Bull Shit Eloquence (BSE)
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