Zu diesem Phaenomen gab es bereits zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen. Zum Beispiel kam Hopfenstaedt (1977) zu dem Schluss, dass die einzig logische Erklaerung die Tatsache sei, dass die Mitarbeiter entweder nicht lesen koennten oder sich staendig vertippen wuerden. Ein Feldversuch in der Bayerischen Staatskanzlei (Hopfenstaedt et al 1981) hat diese Theorie allerdings falsifiziert.
Meine eigene Theorie ist, dass die zwangsweise Vernetzung einer genuegend hohen Anzahl von Beamtengehirnen irgendwann die Goedelgrenze ueberschreitet, und das Gesamtsystem, bestehend aus Gehirnen (Zellen) und Telefonanlage (Synapsen), beginnt ueber sich selbst nachzudenken, dass heisst es wird sich seiner selbst bewusst. Bewusste Systeme wiederum stellen frueher oder spaeter die ganz grosse Frage, ihr wisst schon, die Frage nach dem Universum und dem ganzen Rest (die Antwort kennen wir ja seit Douglas Adams zur genuege!). Da dieses System aber nur sehr eingeschraenkte Erfahrungen aus der Umwelt machen kann, kommt es vermutlich zwangsweise zu der Erkenntnis, dass der Sinn des Lebens darin bestehen muesse, jeden ankommenden Reiz (Anruf von aussen) mit einer moeglichst breiten Masse seiner Zellen zu verbinden. So wie ja auch das Gehirn Reize der Sinnesorgane ueber die ganze Grosshirnrinde verteilt. Die Folge ist, dass jeder von aussen kommende Anruf zuerst mindestens 10mal
weiter verbunden wird, bevor man endlich an der richtigen Adresse landet.
Ich waehle die Nummer des Kreisverwaltungsreferats. Nachdem ich wie ueblich fuenfzehn Mal hin und her vermittelt wurde, lande ich endlich bei der 'zustaendigen Mitarbeiterin'.
"Vereinsmeldestelle. Vorstadler am Apparat."
"Ja, Gruess Gott. Mein Name ist ... im Moment nicht so wichtig. Ich wuerde gerne einen neuen Verein gruenden. Bin ich da bei Ihnen richtig?"
Frau Vorstadler gibt widerwillig zu, dass ich da richtig sei. Im Hintergrund hoere ich, wie sie die Kaffeetasse abstellt und die Abendzeitung zur Seite schiebt.
"Ja, also", sage ich munter, "der neue Verein soll natuerlich gemeinnuetzig sein, damit wir keine Steuern zahlen und Spendenbescheinigungen ausstellen koennen."
"Aha", meint die Vereinsverwaltungsdame saeuerlich, als ob die Steuereinnahmen direkt auf ihr Girokonto gegangen waeren. "Und wie soll der Verein heissen? Die Gemeinnuetzigkeit muss aus dem Name ersichtlich sein ..."
"'Verein zur Rettung meines vom Aussterben bedrohten Berufs'."
"So! Verein zur ... was ... aeh ... was fuer ein Beruf?"
"Meines", sage ich prompt.
Die Antwort ist verbluefftes Schweigen. Deshalb fuege ich erlaeuternd hinzu:
"Ich bin naemlich Universitaets-Assistent."
Nochmal Pause. Dann:
"Ja ... und?"
"Nach dem neuen Hochschulgesetz gibt es fuer diesen Beruf praktisch ein Berufsverbot, weil an der Uni alle Dauerstellen abgeschafft werden und gleichzeitig die Zeitvertraege auf 6 Jahre befristet sind. Folglich ist mein Beruf also akut bedroht. Und da dachte ich mir, es wird hoechste Zeit, dachte ich mir, dass jemand einen Verein zum Schutz meines vom Aussterben bedrohten Berufs einrichtet."
"Aber ..."
"Schliesslich gibt es ja fuer alle anderen vom Aussterben bedrohten Dinger auch gemeinnuetzige Vereine, nicht wahr? Warum also nicht fuer meinen Beruf?"
"Aeh ... schon. Wenn aber ..."
"Damit dann, wenn mein Vertrag nicht mehr verlaengert wird, schon genuegend Spenden eingegangen sind fuer meinen Unterhalt, verstehen Sie?"
"Aeh ... ja ... nein ... aeh ..."
"Vielleicht muesste man das im Titel noch deutlicher machen", sinniere ich laut vor mich hin. "So etwa: 'Verein zur Rettung der monatlichen Bezuege von Universitaetsassistent Leisch'? Sonst kommen am Ende auch noch andere gefeuerte Assistenten auf die Idee, sich an diesen Verein zu wenden. Sie wissen ja, wie habgierig die Leute sind!"
"Aber das geht doch nicht!" entfaehrt es Frau Vorstadler heftig.
"Wie meinen?"
"Sie koennen doch nicht einen gemeinnuetzigen Verein gruenden, der nur Sie unterstuetzt!"
"Und warum nicht?"
"Weil ... weil Sie doch nicht gemeinnuetzig sind!"
"ICH bin vielleicht nicht direkt gemeinnuetzig, aber mein Gehalt weiter zu zahlen koennte durchaus dem Gemeinwohl zu Nutze kommen. Ich gebe Ihnen ein praktisches Beispiel: Solange mein Gehalt puenktlich auf meinen Girokonto eintrifft, sitze ich hier in der Uni, schaue mir die neuesten Pornos durch, trietze ein bisschen die Studenten, aber alles in allem ist die oeffentliche Sicherheit durch mich nicht bedroht. Wenn jetzt aber mein Paycheck ploetzlich ausbleibt, dann sitze ich zuhause und komme am Ende aus lauter Frust auf dunkle Gedanken. Unter Umstaenden sogar seeeeehr dunkle Gedanken. Und dann koennte ich zum Beispiel Sie anrufen und sehe auf meinen ISDN-Display Ihre Durchwahl. Und wuerde ich - rein hypothetisch wohl gemerkt - ..."
Frau Vorstadler versichert mir, dass alle noetigen Formulare noch heute an mich rausgehen, und dass sie auf jeden Fall meinen Antrag zur Anerkennung eines gemeinnuetzigen Vereins sehr wohlwollend begutachtet ans Amtsgericht weiter geben wird.
Copyright Florian Schiel 2001