Voellig erschoepft lasse ich mich in meinen Supero-Elasto-Pneumo-Chef-Sessel mit integrierter Liftkraftverstaerkung fallen und fahre sofort die Schutzschilde hoch. Eine Weile sitze ich nur da und atme passiv. Dann gucke ich muehsam in den Mini-Rueckspiegel an meiner Workstation, den Frau Bezelmann mir zum letzten Geburtstag geschenkt hat ("Damit Sie von nun an Ihre Falten besser sehen koennen!"), und versuche, meine Augen wieder in eine normale Form zu kneten. Nur mit maessigem Erfolg allerdings: sie bleiben deutlich rechteckig, blutunterlaufen und mit dunklen Ringen darunter effektvoll dekoriert. Ich seufze.

Nie, nie, nie wieder lasse ich mich auf eine LAN-Party einladen. Das schwoere ich beim heiligen Core-Dump!

Wahrscheinlich muss man das einfach akzeptieren: Es gibt einige wenige Sachen, die sind sogar fuer einen Bastard zu hart: Ein tollwuetiges Wiesel in der Hose, der 'Blaue Bock' im Fernsehen, Windoofs-Updates ueber Modem ... und jetzt kommen LAN-Parties auch noch auf meine Liste! Erstaunlich, was diese Youngsters da aushalten! Diese bleichen Teenager schauen aus wie gerade geborene Giraffen, die ein leises Lueftchen umfegen koennte. Und dann veranstalten sie, ohne mit der Wimper zu zucken, ein 48-stuendiges Massengemetzel. Mit kurzen 5-Minuten-Pausen, um sich mal ein Stueck Pizza reinzuschieben. Und dann sofort wieder den Finger am Abzug. Ein Ueberlebenstraining der US Marines ist nix dagegen!

Drei Kannen Kaffee spaeter bin ich soweit, dass ich wenigstens mal meine Email scannen kann. Die ganzen Departments- und Dekanatsmeldungen schiebe ich ungelesen nach /dev/null; alle Absender mit der Email-Adresse Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.' kommen wie ueblich auf die Liste 'Zu-Loeschende-Accounts'. Danach bleiben nur noch eine Hand voll Sex-Spams, denen es gelungen ist, sich durch alle drei Spam-Filter zu mogeln, und eine Email vom Europaeischen Patentamt. Ein Herr Patrick O'Kinsley fragt an, ob ich ihn wegen meiner Patenteinreichung Nr. K/8356-XL aufsuchen koenne. Es gebe da einige 'Unklarheiten, was den Gegenstand der Patentschrift' angehe. Ganz gegen meine sonstige Gewohnheit, amtlich Vorgaenge erstmal vernuenftig 'abhaengen' zu lassen, schicke ich postwendend einen Reply, dass ich schon morgen bei Herrn O'Kinsley vorsprechen werde. Schliesslich ist das eine ebenso gute Ausrede, mein morgiges Einfuehrungsseminar ausfallen zu lassen, wie jede andere!

Am naechsten morgen sitze ich im Europaeischen Patentamt

dem Sachbearbeiter gegenueber, der das Pech hat, immer meine Patenteinreichungen bearbeiten zu duerfen. Da mich Herr O'Kinsley bereits kennt, hat er mich nicht wie alle anderen eine Stunde warten lassen, sondern ganz im Gegenteil sogar selber schon auf mich gewartet. Vermutlich kann er sich noch an das letzte Mal erinnern, als ich aus purer Langeweile ueber ein Recherche-Terminal in der Eingangshalle den Zentralrechner in Bruessel heruntergefahren habe.

Herr O'Kinsley traegt heute eine karierte Fliege unter dem runden Gesicht und schaut nicht sehr gluecklich drein, aber das ist normal. Er blaettert eine Weile ziellos in einem Haufen Papier, der die rechte Seite seines Schreibtisches bedeckt. Dann schaut er mich an und setzt zum Reden an, aber ausser einem erstickten Stoehnen kommt nichts heraus. Herr O'Kinsley guckt hilfesuchend in seinem Buero herum, und aus Hoeflichkeit gucke ich ebenfalls. Wohin man auch schaut: ueberall ist Papier in verschiedenen Stadien des Zerfalls gestapelt, zum Teil meterhoch. Herr O'Kinsley seufzt und beginnt wieder im Papier auf seinem Schreibtisch zu wuehlen, diesmal auf der linken Seite. Schliesslich zieht er einen lose gehefteten Packen aus dem Stapel, in welchem ich unschwer meinen Patentantrag erkenne, und betrachtet ihn wie ein besonders widerliches Insekt. Er blaettert lesend bis auf Seite vier, schlaegt dann in einer unendlich matten Bewegung mit dem Ruecken der linken Hand auf das Papier und schaut mich zum zweiten Mal an. Dreimal setzt er vergeblich zum Reden an, waehrend ich geduldig warte. Schliesslich wird es mir zu bloede und ich sage ungnaedig: "Ich hoffe sehr, dass das Patent moeglichst bald erteilt wird. Wie Sie sich sicher denken koennen, haben schon einige Firmen begonnen, meine Idee zu missbrauchen!" Herr O'Kinsley schnappt nach Luft und seine Augen treten so stark hervor, dass ich schon fuerchte, sie werden auf den Schreibtisch fallen und in seinem Papierstapeln verschwinden. "Missbrauchen ...", japste er muehsam und lockert sich mit dem Zeigefinger das Band seiner Fliege. "Sie ... Sie ... Sie wollen ernsthaft? ... neinneinnein ... ich glaube, Sie verstehen das nicht ..." Er schliesst einen Moment die Augen, um seine Kraefte zu sammeln. Dann sagt er mit aller Autoritaet, die er aufbringen kann: "Wir koennen das Patent auf Ihre ... Ihre ... Idee nicht erteilen!" "Und wieso bitteschoen nicht?" will ich wissen. "Weil ... weil es sich nicht um eine Erfindung handelt, sondern um eine ... eine ... Handlungsvorschrift!" "Was soll das denn sein, eine 'Handlungsvorschrift'?" frage ich unschuldig. "Naja, Sie beschreiben in Ihren Patentantrag keine Erfindung, sondern nur eine Methode ... eine detailierte Step-by-step-Anleitung ... das koennen wir unmoeglich annehmen!" "Eine Step-by-step-Anleitung?" wiederhole ich in skeptischem Ton. Herr O'Kinsley nickt krampfhaft. "Eine Step-by-step-Anleitung", sage ich freundlich, "ist doch nur ein anderes Wort fuer Algorithmus oder Programm, nicht wahr?" Herr O'Kinsley schuettelt so heftig den Kopf, dass die Schweisstropfen bis zu mir her fliegen. "Wieso denn nicht?", bohre ich hartnaeckig weiter, "Ein Algorithmus ist doch nichts anderes als eine detailierte Step-by-step-Anleitung an den Computer. Das muessen Sie ja wohl zugeben!" "Schon, aber ..." "Nach der neuen Software-Patent-Richtlinie kann ich jeden beliebigen Algorithmus patentieren lassen", fahre ich gnadenlos fort, "Wenn also mein Idee, wie Sie sagen, aus einer Step-by-step-Anleitung besteht, dann kann ich sie folglich auch patentieren lassen!" Herr O'Kinsley bekommt vor Aufregung einen Schluckauf.: "Ja ... ... nein ... ... das heisst ... die Richtlinie gilt doch nur fuer Algorithmen, die auf einem Computer laufen!" "Wer sagt, dass meine Erfindung NICHT auf einem Computer laufen kann? Wenn Sie wollen, kann ich es Ihnen gleich hier vorfuehren ..." Ich ziehe einen PDA aus der Jackentasche. Herr O'Kinsley ringt die Haende. "Aber Herr Leisch ... ... Sie koennen doch nicht DIESEN speziellen Algorithmus patentieren lassen ... ... Das geht doch nicht! Das muessen Sie doch einsehen!" Ich sage ungnaedig, dass ich ueberhaupt nichts einsehe und dass ich mich auch nicht erinnern koenne, von so einer Einschraenkung in der EU-Richtlinie gelesen zu haben.

Herr O'Kinsley gibt auf und ruft per Telefon ein halbes Dutzend Juristen zu Hilfe. Das erweist sich jedoch als Fehler, weil die Experten, wie immer in solchen Situationen, sofort aufs Heftigste zu streiten beginnen, ob, wer, wie, wann, wo und warum das Recht, die Pflicht, die Moeglichkeit, den Willen, die Schuldigkeit habe, einen solchen Patentantrag zu stellen, zurueckzuziehen, abzulehnen, zu akzeptieren oder zu verbrennen. Die Diskussion wird immer hitziger, weil keiner den anderen aussprechen lassen will, und fuehrt schliesslich dazu, dass die Experten sich in zwei Lager Pro und Contra Patenteinreichung spalten. Nachdem alle juristischen Verbalinjurien erschoepft sind, verschanzen sich die beiden Lager hinter hohen Papierstapeln an entgegengesetzten Enden von Kinsley's Buero, und fangen an, sich gegenseitig mit Papierkugeln und Bueromaterial zu beschiessen. O'Kinsley und ich ducken uns aus der Schusslinie und robben auf dem Bauch aus dem Buero. Geistesgegenwaertig schnappe ich mir noch meinen Patentantrag von seinem Schreibtisch, damit er nicht etwa aus Versehen 'verloren geht'.

Draussen auf dem Gang hat sich bereits die uebliche Menschenmenge angesammelt, die immer spontan aus dem Nichts entsteht, wenn es brennt, ein Massenmoerder dreissig Geiseln erschossen hat oder sonst irgendetwas Interessantes passiert. Sie fragen O'Kinsley, was da in seinem Buero los sei, aber dieser hat inzwischen so stark Schluckauf, dass er nur noch '' sagen kann. Ich zerre den ungluecklichen Sachbearbeiter in eine ruhige Ecke und halte ihm meinen Patentantrag unter die Nase. "Nachdem wir die Detailprobleme erfolgreich geloest haben, erwarte ich eine rasche Bearbeitung meines Patents", sage ich. "" "Ganz im Vertrauen: die Recherche koennen Sie sich eigentlich sparen: kein normaler Mensch wuerde auf so eine Idee kommen, nicht wahr?" O'Kinsley nickt zuerst, dann schuettelt er heftig den Kopf: "!" Um ganz sicher zu gehen fuege ich noch hinzu: "Erinnern Sie sich noch an ihren Zentralrechner in Bruessel?" "?!" "Nur ein Tipp: es koennte sein, dass Sie bald einen neuen brauchen - vor allem, falls es bei der Bearbeitung meines Antrags unerwartet zu irgendwelchen Verzoegerung kommen sollte..." "!!!" "Genau", sage ich freundlich und ruecke O'Kinsley die schiefe Fliege zurecht, "und hier ist mein Antrag. Passen Sie gut darauf auf!" Ich druecke ihm den zerknitterten Antrag in die schweissigen Haende. Auf dem Titelblatt steht in riesengrossen Lettern:

'Antrag fuer die Erteilung eines Patents fuer die Methode wie man ein Patent fuer eine Software beantragt'

Auf dem Nachhauseweg male ich mir schon mal genuesslich aus, was die Rechtsabteilung der Firma WinzigWeich fuer Gesichter machen wird, wenn ich eines Tages mit meinem Patent dort aufkreuze.

Copyright Florian Schiel 2005

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