Am naechsten Tag sitzen wir wieder in der Bibliothek, als der Chef hereinkommt und uns sorgenvoll und mit vielen 'Aehs' und 'Hmms' eroeffnet, dass er noch kein Geschenk fuer seine Frau anlaesslich ihres 30igsten Hochzeitstages habe.
"Etwas ... hmm ... Jugendliches vielleicht. Ich ... aeh ... dachte da an ein ... hmm ... ein ..."
"Dings?" fragt Frau Bezelmann hoeflich.
"... ein Dings ... Quatsch ... ein Konzert, ja. Ein Konzert, was ... aeh ... halten Sie davon? ... Hmm ... zum Beispiel dieser Rocker ... aeh ... wie hiess er noch ... aeh ... dieser Elvis ..."
Die versammelte Mitarbeiterschaft bruetet ein paar Sekunden verbluefft ueber diesem Vorschlag.
Dann fragt der Kollege O. unglaeubig: "Elvis Presley?"
"Ja ... aehm ... genau! Das ... aeh ... war der Name, ja ..."
"Aber ... aber der ist doch laengst tot!" Der Chef betrachtet den Kollegen O. mit bekuemmerter Miene.
"Wissen Sie ... aeh ... wissen Sie, das habe ich ... aehm ... befuerchtet ..."
"Wie waere esss mit den Stonesss?" schaltet sich Frau Bezelmann in die Diskussion ein.
"Die spielen diesssesss Jahr in Muenchen!"
"Ah? ... aeh ... Jones war der Name?"
"Stones", sage ich, "die Rolling Stones. Die waeren wirklich ideal! Da fallen Sie und Ihre Frau auch bestimmt nicht so auf wie auf einem normalen Rockkonzert."
Die Kollegen schauen mich verwundert an. "Die Stones sind zusammen auch schon 265 Jahre alt", zische ich leise.
Der Chef hat gluecklicherweise nichts gehoert.
"Stones! ... aeh ... phantastisch! ... hrrrm ... vielen Dank fuer den ... aeh ... den Ratschlag ... hmm ... ach ja, ... aehm ... hier hab' ich noch etwas ... aeh ..."
Der Chef zieht einen zerknitterten Brief aus der Jackentasche und fummelt mit seiner Lesebrille herum.
"... aeh ... sieht so aus ... aeh ... sieht so aus, als ob wir morgen einen ... aehm ... einen Streik haetten ... hier an der Uni ..."
Jeder schaut auf einmal Frau Bezelmann an. Diese grinst malizioes.
Alle Anwesenden - mit Ausnahme vermutlich des Chefs - denken jetzt Folgendes:

"Der Streik waere DIE Gelegenheit, mal endlich zum Skifahren zu gehen! Aber bloederweise meldet uns dann Frau Bezelmann dem Dekanat, und dann gibt es Lohnabzug!"
Die ganz Mutigen unter meinen Mitarbeitern denken noch zusaetzlich: "Wie koennte man bloss Frau Bezelmann ausschalten?"
Nach meiner Erfahrung haben die ganz Mutigen an unserem LEERstuhl keine besonders hohe Lebenserwartung.
Ich denke, ihr koennt euch vorstellen, warum das so ist. In einem ploetzlichen Anfall von Solidaritaet mit der arbeitenden Bevoelkerung erklaert uns der Chef, dass er als Beamter sowieso nicht streiken duerfe. Aber er wuerde morgen zu Hause arbeiten und er wuerde als direkter Dienstvorgesetzter jedem Mitarbeiter gestatten, das Gleiche zu tun. Spaeter einigen wir uns in einem Bezelmann-sicheren Chat-Room, dass wir morgen lieber doch auf die Streikkundgebung gehen, anstatt wirklich zu Hause zu arbeiten. Immerhin ist ja Fasching, und da will man ja nicht zu Hause rumhocken, waehrend sich die Gewerkschaftler mit dem Landesvater amuesieren.

Am naechsten Tag ist saukalt und wir stehen zusammen mit 2000 anderen Streikenden eingekeilt am Odeonsplatz und warten, dass endlich was passiert. Zum Glueck draengen uns die 8000 Bereitschaftspolizisten immer mehr zusammen, so dass es schon fast gemuetlich warm wird.
Ich war gestern noch extra beim Friseur und grinse freundlich in die ca. 200 Digitalkameras, die die Burschen vom Bayerischen Verfassungsschutz mitgebracht haben. Hoffentlich werden diesmal endlich auch mal ein paar gute Bilder daraus; die Schnappschuesse von mir im letzten bayerischen Verfassungsschutzbericht waren ganz grauenhaft. Ein hoeflicher Polizist macht Jenny darauf aufmerksam, dass ihre rot geschminkte Nase gegen das Vermummungsverbot verstoesst. Ausserdem werden wir per Megaphon aufgeklaert, dass der Kollege O. sein rosafarbenes Transparent zwar hochhalten, aber nicht schwenken duerfe, weil dies als aggressive Anfangskriminalitaet gedeutet werden koenne.
Waehrend der Kollege O. noch mit dem Polizisten mit dem Megaphon verhandelt, knallt diesem ploetzlich eine tote Luftratte (Taube) auf den Sturmhelm, was bei den Demonstranten ausgelassene Heiterkeit ausloest.
Marianne ist heute ganz in gruenem Leder erschienen und laesst sich kaum noch von den weiblichen Demo-Polizei-Amazonen unterscheiden.
Ich frage sie, ob sie ihren Titan-Posaunenkasten am Eingang abgeben musste. Marianne grinst nur veraechtlich und zeigt mir eine Hundepeitsche, die sie diskret in den Schaftstiefeln versteckt haelt. Irgendwo weiter vorne scheint irgendein hohes Tier das Podium erklimmen, weil man Beifall und Pfiffe hoert. Am lautesten pfeift natuerlich die Verstaerkeranlage, weil es nach Murphy bei allen Demos immer Rueckkoppelungen geben muss. Was dann schliesslich aus den Lautsprechern zu hoeren ist, klingt genau wie die Stimme des Lehrers in den Peanuts-Comics: "Oowang, owah owahwah, owahwahwah owahwahwah!" Obwohl kein Wort zu verstehen ist, klatschen und johlen wir nach jedem Satz wie die Besessenen. Erstens machen wir das, weil es nicht verboten ist und die Polizisten nicht mitjohlen duerfen, zweitens, weil es uns waermer macht, und drittens ist ja schliesslich Fasching, und da klatscht man bekanntlich nicht, weil man etwas versteht, sondern weil die Kapelle einen Tusch spielt. "Owang-wah! Owahwahwah OuwAAAHHH!!!" Eine tote Graugans trifft in einer schraegen Trajektorie genau auf das Rednerpult und fegt den Redner vom Podium. Alle Demonstranten klatschen heftigst und blasen ihre Trillerpfeifen. Kurze Zeit spaeter werden wir ueber Megaphon informiert, dass wir nunmehr zur Staatskanzlei marschieren duerften, wo der Herr Ministerpraesident angeblich ein Grusswort an die Streikenden richten werde. Im Uebrigen sei das Werfen mit toten Voegeln nicht gestattet und koenne eventuell als aggressive Anfangskriminalitaet interpretiert werden. Vor der Staatskanzlei treffen wir auf die Streikzuege der bayerischen Staatstheater und der Fachhochschule. Letzterer ist eine willkommene Bereicherung, weil die Angestellten der Fachhochschule natuerlich viel praktischer veranlagt sind als wir und eine Gulaschkanone gefuellt mit Gluehwein dabeihaben. Waehrend immer mehr tote Luftratten auf uns und die Polizisten herniederfallen, erscheint tatsaechlich auf einem Balkon sicherer Hoehe von 20 Metern unser verehrter Landesvater. Er wird mit einem ohrenbetaeubenden Pfeifkonzert empfangen, welches er huldvoll laechelnd zur gnaedigen Kenntnis nimmt.
Doch ziemlich bald macht sich erwartungsvolle Stimme breit, weil auch die hartgesottensten Demo-Gruftis was hoeren wollen. Waehrend zwei Polit-Lakeien schwarze(!) Schirme ueber seinen Kopf halten, um etwaige Luftrattenstuerze abzuwehren, tritt der Landesvater ans Mikrophon: "Aeh ... aeh ...", sagt er.
"Haeh? Was hat er gesagt?" fragt der Kollege Rinzling, der sein Hoergeraet verlegt hat.
"Nur ein 'aeh'", sage ich.
"HAeH?"
"ER HAT BIS JETZT NUR 'AeH' GESAGT!" bruelle ich ins Ohr des Kollegen Rinzling.
Die Streikenden in der weiteren Umgebung drehen sich zu uns um.
Der Landesvater spaeht irritiert ueber seinen Brillenrand zu uns herunter und faehrt fort: "Aeh ... ich begruesse Sie ... aeh ... meine sehr verehrten Damen und ... aeh ..." Einer der Lakaien fluestert etwas in das rechte Ohr des Landesvaters.
"Aeh ... liebe ... aeh ... liebe Mitbuergerinnen und ... aeh ... hmm ... aeh ... Mitbuerger ..."
Direkt neben mir steht Jenny, den Mund vor Faszination leicht geoeffnet.
"An wen erinnert mich der bloss?" murmelt sie verbluefft. Ich sage es ihr.
"Oh", sagt Jenny, womoeglich noch verblueffter. Oben auf dem Balkon droehnt es weiter:
"... wenn Sie vom Hauptbahnhof in Muenchen mit zehn Minuten ... ohne dass Sie am Flughafen noch einchecken muessen ...
dann starten Sie im Grunde genommen am Flughafen am ... am Hauptbahnhof in Muenchen starten Sie ihren Flug zehn Minuten
- Schauen Sie sich mal die grossen Flughaefen an, wenn Sie in Heathrow in London oder sonstwo ... meine Charles de Gaulle in
... aeh ... Frankreich oder in ... aeh ... in ... in Rom ... wenn Sie sich mal die Entfernungen ansehen ... wenn Sie Frankfurt sich ansehen,
dann werden Sie feststellen, dass zehn Minuten Sie jederzeit locker in Frankfurt brauchen, um ihr Gate zu finden - Wenn Sie vom Flug
... aeh ... vom Hauptbahnhof starten ... Sie steigen in den Hauptbahnhof ein ... Sie fahren mit dem Transrapid in zehn Minuten an den
Flughafen ... in an den Flughafen Franz-Josef Strauss, dann starten Sie praktisch hier am Hauptbahnhof in Muenchen - das bedeutet
natuerlich, dass der Hauptbahnhof im Grunde genommen naeher an Bayern ... an die bayerischen Staedte heranwaechst.
Weil das ja klar ist, weil aus dem Hauptbahnhof viele Linien aus Bayern zusammenlaufen!"
Verbluefftes Gemurmel, waehrend die Polizisten, die Polit-Lakeien und nicht zuletzt die Streikenden versuchen, dem hochfliegenden
Gedankengang des Landesvaters zu folgen. Inzwischen hat sich dieser aber schon wieder verabschiedet und sich in die
Demonstranten-sichere Staatskanzlei-Festung zurueckgezogen. Mehrere tote Luftratten knallen auf den verwaisten Balkon.
Wir warten noch, bis die Gulaschkanonen der Fachhochschule leer sind. Dann loesen wir uns ordnungsgemaess auf und gehen nach Hause.


Copyright Florian Schiel 2006

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