Wir duerfen uns ja jetzt seit Neuestem und nach hoechst-gutachterlichem
Beschluss 'Elite-Universitaet' nennen. Woopy-Doo!
Man koennte sich jetzt fragen (und man tut es natuerlich), ob sich die Uni
nach dieser ehrenvollen Ernennung irgendwie anders anfuehlt als vorher.

Nicht wirklich.

Die Toiletten sind immer noch ein innenarchitektonischer Albtraum, unser
grosser Hoersaal ist immer noch nicht neu gestrichen worden (obwohl
der Chef angeblich schon vor 17 Jahren einen 'Blauen Auftragdschein'
ausgefuellt hat) und die Studenten sind immer noch genauso dumm wie vor
ein paar Monaten.
Immerhin gibt es jetzt einen Lichtblick auf die zukuenftige Glorie einer
Elite-Uni: die Hausverwaltung hat angekuendigt, dass in unserem Gebaeude
das alte Schliesssystem durch moderne High-Tech-Transponder-Schloesser
ersetzt werden soll.

Das ist doch mal was Konkretes! Da sehen die Studenten wenigstens,
wo ihre sauer verdienten Studiengebuehren nutzbringend investiert werden!

Das alte Schliesssystem stammte noch aus den Zeiten Koenig Blaubarts
und bestand aus ganz gewoehnlichen Sicherheitsschloessern. Irgendwann
vor Urzeiten gab es da wohl auch mal eine ausgekluegelte Hierarchie
von General-, Admiral- und Spezialschluesseln, aber nachdem
dauernd irgendwelche Bueroraeume gepluendert und daraufhin wahllos
Zylinderschloesser ausgetauscht wurden, schleppt jetzt jeder Mitarbeiter
ein gutes Pfund Schluessel in seinem Hosenbund herum, damit er wenigstens
in die wichtigsten Raeume (wie zum Beispiel die Teekueche) hineinkommt,
ohne jedesmal zu Frau Bezelmann dackeln und um einen Schluessel betteln
zu muessen.
Der Schluesselbeauftragte der Hausverwaltung schreibt in seinem Rundbrief
euphorisch, dass dieser Zustand einer Elite-Universitaet nicht mehr
gerecht werde und dass deshalb in kuerzester Zeit ein hochmodernes,
beruehrungsloses Schliesssystem eingebaut werden solle. Keine 6
Wochen spaeter ist tatsaechlich jeder Mitarbeiter mit einem kleinen
Transponder ausgestattet, der per Knopfdruck saemtliche Tueren oeffnet -
oder zumindest diejenigen, in deren Schlosselektronik der entsprechende
Schluesselkode eingetragen ist. Bleibt noch anzumerken, dass selbst Frau
Bezelmann keinen 'General-Transponder' hat; den hat nur der Chef.

Soweit so gut - das Spiel kann beginnen!

Am ersten Tag probieren natuerlich alle am LEERstuhl an saemtlichen
Tueren ihre neuen Sesam-Oeffne-Dichs aus - das ganze Gebaeude hallt wider
von dem nervtoetenden Gepiepe, mit dem die elektronischen Schloesser
die Erkennung eines Kodes quittieren. Ich sitze derweil in unserem
Elektroniklabor und schaue mir auf dem angeschlossenen Logik-Analyser
an, was die Transponder da wirklich veranstalten. Leider haben sich die
Entwickler der Dinger ausnahmsweise mal wirklich was dabei gedacht: Der
Transponder sendet nicht nur auf einem magnetischen Traegerfeld einen
Kode aus, sondern empfaengt dann vom Schloss eine Frage, die er richtig
beantworten muss - und dieses Frage- und Antwortspiel ist jedesmal ein
anderes. Meine Idee, durch Abhoeren einfach den Transponder des Chefs
zu kopieren, bringt also nix. Schade!
Dafuer mache ich ein paar andere interessante Entdeckungen. Zum Beispiel
klebe ich unter die innere Schlossblende der Bibliothekstuere eine
winzige Spule und schliesse diese an einen uralten seriellen Port an,
der seit Menschengedenken nicht mehr verwendet wird. Auf der anderen
Seite der seriellen Leitung in meinem Buero schliesse ich die gleiche
Spule nochmal an und halte meinen Transponder nahe an die Spule. Auf
diese Weise kann ich vom anderen Ende des Flurs aus die Bibliothekstuere
oeffnen. Oeffnen ja, aber schliessen geht natuerlich genauso!
Ich verbringe einen froehlichen Nachmittag damit, die Bibliothekstuere
immer genau in dem Moment wieder zu schliessen, in dem ein
Mitarbeiter versucht, sie zu oeffnen. Noch spassiger ist es, Marianne
erst hineinzulassen, aber dann hinter ihr die Tuere zu schliessen
und sie nicht mehr herauszulassen! Nachdem Marianne ihren zweiten
Tobsuchtsanfall bekommen und gedroht hat, die bloede Bibliothekstuere
mit ihrem Titaniumverstaerkten Posaunenkasten einzuschlagen, ruft
Frau Bezelmann den Schluesselbeauftragten auf den Plan. Es eruebrigt
sich zu sagen, dass natuerlich alles wie am Schnuerchen funktioniert,
solange der Typ anwesend ist. Die Blicke, mit denen er Marianne und Frau
Bezelmann bedenkt, sprechen Baende. Immerhin, und um guten Willen zu
zeigen, tauscht er auf alle Faelle Mariannes Transponder aus (was nicht
trivial ist, weil er saemtliche Schloesser, die Marianne oeffnen kann,
neu programmieren muss) und verzieht sich kopfschuettelnd wieder in die
Zentralverwaltung. Kaum ist er weg, kommt Marianne nicht mehr in die
Bibliothek, was prompt ihren dritten Wutanfall ausloest.

Waehrend der Assistent des Gehilfen des Hausmeisters die Truemmer der
Bibliothekstuere wegraeumt, ueberlege ich, was man noch alles machen
koennte.
Am spaeten Abend verbinde ich die Schloesser vom Sekretariat und vom
Buero des Kollegen O., das gleich nebenan liegt, mit zwei Spulen und einer
Leitung, in die ich vorsorglich einen kleinen Schalter einschleife. Wenn
der Schalter geschlossen ist, sind die beiden Schloesser quasi parallel
geschaltet. Das hat natuerlich zur Folge, dass beide Schloesser auf
dasselbe Kodesignal reagieren, und der Transponder ein Durcheinander
von verschiedenen Signalen zurueckbekommt, mit dem er normalerweise
nichts anfangen kann. Mit anderen Worten: meistens geht gar nichts,
manchmal oeffnet sich das eine, manchmal auch das andere Schloss.
In der Frueh komme ich noch gerade rechtzeitig, um zu erleben, wie Frau
Bezelmann den verdutzten Kollegen O. zur Sau macht, weil dieser es gewagt
habe, sie im Sekretariat einzusperren.
"Aber ... aber ich schwoere, ich habe doch nur meine eigene Tuere oeffnen
wollen", stammelt der arme O. hilflos, "die geht uebrigens auch nicht
auf ..."
Er drueckt nochmal auf seinen Transponder und diesmal - weil ich
inzwischen unauffaellig den Schalter geoeffnet habe - reagiert
tatsaechlich nur sein eigenes Schloss mit froehlichem Piepen.
"Hahh!" zischt Frau Bezelmann triumphierend, als ob damit alles bewiesen
waere.
Marianne, die sich inzwischen auch beim Sekretariat eingefunden hat,
bemerkt kritisch:
"Ich habe von Anfang an gesagt, dass diese Transponder ein Scheiss sind
.... wieso grinst du eigentlich so daemlich?"
Letzteres war an meine Adresse gerichtet, und ich beeile mich, mein
uebliches Dienstag-Morgen-Schlechte-Laune-Gesicht aufzusetzen.

Am Nachmittag streife ich ziellos durchs Haus und oeffnen mit dem
'geliehenen' Transponder des Chefs Tueren, von denen nicht mal die
Hausmeister wissen, was sich dahinter verbirgt. Dabei mache ich eine
sensationelle Entdeckung:
Der Schluesselbeauftragte hat auch alle Aussentueren unseres Gebaeudes
mit denselben elektronischen Schloessern ausstatten lassen wie die
Bueroraeume. Berechtigung dazu hat aber praktisch niemand, nicht mal der
Chef hat eine. Diese Schloesser lassen sich aber aus Sicherheitgruenden
von innen per Hand betaetigen, damit niemand im Brandfalle irgendwo
eingeschlossen sein kann. Fazit: saemtliche Aussentueren des Gebaeudes
lassen sich von innen per Hand abschliessen!
Am naechsten Morgen stehe ich schon um halb sieben vorm LEERstuhl und
warte darauf, dass der Angestellte der Schliessgesellschaft, die die Uni
betreut, puenktlich um Viertel vor saemtliche Aussentueren oeffnet. Dann
rase ich durchs Erdgeschoss und schliesse alle Tueren von innen wieder
ab, verlasse das Gebaeude durch den Notausgang in der Tiefgarage und
mische mich ganz unschuldig unter die wachsende Menschenmenge, die sich
vor dem Haupteingang staut, und die dort aufgehaengte Ankuendigung liest.
So und so, steht es auf dem sehr amtlich wirkenden Dokument, das
allerdings keine Unterschrift traegt, wegen massiver Schwierigkeiten mit
dem neuen Schliesssystem sei dieses Gebaeude fuer das heutige Datum fuer
den Parteiverkehr und den Vorlesungsbetrieb geschlossen. Angestellte
der Uni bekaemen Sonderurlaub, waehrend die Vorlesungsveranstaltungen
leider ersatzlos gestrichen werden muessten.

Leider taucht schon um neun Uhr der Oberste der Klingonen auf (Leiter
der Hausinspektion) und entfernt kopfschuettelnd meine schoenen, mit
Photoshop muehevoll designten Anschlaege. Der immer noch ansehlichen
Menge von Studenten und Uni-Angestellten (obwohl der Loewenanteil
vorsichtshalber schon laengst wieder das Weite gesucht hat) erklaert der
Oberste der Klingonen mit lauter Stimme, dass von massiven Problemen mit
der neuen Schliessanlage gar keine Rede sein koenne. An dieser Stelle
hoert man Frau Bezelmann laut und spoettisch schnauben, und Marianne,
laessig auf ihren Titaniumverstaerkten Posaunenkasten gestuetzt, wirft
ein veraechtliches "HAH!!" in die Menge.
"Was immer Sie von diesem Studentenscherz halten moegen", faehrt der
Oberste der Klingonen selbstbewusst fort, "wir werden jedenfalls
das Gebaeude jetzt sofort wieder oeffnen, damit der normale
Universitaetsbetrieb wieder aufgenommen werden kann!"
Spricht's, zieht seinen Transponder aus der Tasche und versucht, die
Eingangstuere zu oeffnen.

Aber nichts passiert.

Ein ahnungsvolles Raunen geht durch die Menge, waehrend der Oberste
der Klingonen ebenso verzweifelt wie vergeblich auf seinen Transponder
drueckt. Marianne aeussert sich laut und zu jedem, der es hoeren moechte
(und natuerlich auch zu allen, die es nicht hoeren moechten), dass sie
schon immer wusste, dass das neue Schliesssystem 'ein Scheiss' sei.
Als auch weitere, eilends aus der Verwaltung herbeigebrachte
'General-Transponder' keinen Effekt zeigen, muss sich die Hausinspektion
fassungslos eingestehen, dass zum ersten Male in der langen Geschichte
der Uni ein Gebaeude hermetisch abgeschlossen und in keinerlei Weise
mehr zugaenglich ist.

Was der Oberste der Klingonen nicht wissen kann (und auch niemals erfahren
wird): die empfindlichen Empfaenger der elektronischen Schloesser machen
sofort die Schotten dicht, sobald ein nur einigermassen starkes Magnetfeld
der Traegerfrequenz von 25kHz praesent ist. Und heute Nacht haben Yogi
Flop und ich den uralten Elektromagneten des Zyklotrons im Keller der
Experimentalphysik wieder aktiviert - und auf genau 25kHz und maximale
Leistung getrimmt!
Puenktlich heute um 15 Uhr wird eine simple Zeitschaltuhr den
Elektromagneten abschalten, und dann wird alles wieder so funktionieren,
als ob nichts gewesen waere.

Was bleibt, ist das angenehm gruselnde Gefuehl bei (fast) allen
Beteiligten, dass auch in modernen Zeiten die Geister, die man rief,
nicht immer und alle Zeit gutartige Geister sein muessen ...

Copyright Florian Schiel 2007