Einer der schlimmsten Auswüchse deutscher Bürokultur sind die gemeinschaftlichen zwangsverordneten Feierstunden.
Gefeiert wird bekanntlich alles und von Jahr zu Jahr mehr: Geburtstage, Jubiläen, angekündigter Nachwuchs, tatsächlicher Nachwuchs, Genesungen, Verlobungen, Entlobungen, genehmigte Zuschüsse/Aufträge/Budgets, Promotionen, Habilitationen, Pensionen, Exkursionen, weitere -ionen, etc.
Und überall wo es vernetzte Computer gibt, existiert auch mit Sicherheit eine Datei, wo alle feierverdächtigen Daten fein säuberlich aufgelistet sind und eventuell sogar eine Software, die jeden Mitarbeiter beim Einloggen über die anstehenden Feieranlässe der kommenden Tage informiert.
Die Nichtteilnahme an solchen Geselligkeiten gilt als Kapitalverbrechen, fast so schlimm wie das Betrügen bei der Kaffeeabrechnung!
Natürlich unterhält auch Frau Bezelmann am LEERstuhl ein solches System, wobei anzumerken ist, dass die Datenbasis erstens passwortgeschützt, und zweitens besser gepflegt ist als unsere Buchhaltung. Tatsächlich ist es sogar mir bis jetzt nicht geglückt, das Passwort zu knacken, mit dem Frau Bezelmann schlauerweise das File direkt vercryptet hat. Das macht aber auch nix, weil ich ja trotzdem falsche Meldungen in das Broadcast-System einschleusen kann.
Um die langweiligen Semesterferien etwas aufzupeppen, lasse ich also fünf täuschend nachgemachte Broadcasts los, die für den morgigen Tag den Geburtstag von sechs verschiedenen Mitarbeitern gleichzeitig ankündigen (natürlich sende ich diese Broadcasts nicht an die jeweiligen Mitarbeiter selber; die Uni-Mitarbeiter sind zwar nicht sehr helle, aber ihren eigenen Geburtstag wissen die meisten doch noch; und an Frau Bezelmann schicke ich auch nix, weil die den ganzen Spass sofort verderben würde!)
Am nächsten Tag treffen sich Marianne und der Kollege O. direkt vor meinem Zimmer auf dem Gang. Beide sind mit einer eingewickelten Flasche Schampus-Verschnitt bewaffnet.
"Herzlichen Glückwunsch zum Geburts...", fangen beide strahlend an und brechen abrupt ab.
Eine Sekunde Pause. Dann wieder im Synchronton:
"Äh... was hast du gesagt...?"
"Ich dachte, DU hast heute Geburtstag!"
"Nein, da muss ein Irrtum vorliegen. Ich habe erst im Dezember Geburtstag, aber DU hast doch heute und..."
Kollege Rinzling kommt den Gang heruntergehumpelt und gesellt sich zu den beiden. Er hat eine Flasche Kräuterschnaps ('Ratzeputz') unterm Arm.
"Da sind ja schon zwei unserer Geburtstagskinder!" ächzt er schnaufend. "So ein Zufall, dass gleich fünf Mitarbeiter am gleichen Tag... äh..."
Marianne und Kollege O. starren ihn eine Sekunde lang an. Dann reden beide gleichzeitig los; mehrere andere Mitarbeiter, ausgerüstet mit Kuchen und Sektflaschen versammeln sich im Flur. Kurz darauf bricht Streit aus:
"Wenn das System sagt, ihr habt Geburtstag, dann wird das doch wohl stimmen, oder!"
"Aber wenn ich dir sage..."
"Das ist doch lächerlich! Geht vielleicht die Systemuhr falsch?"
"Seid ihr euch auch ganz, ganz sicher, dass..."
"Soll ich vielleicht meinen Personalausweis holen, verdammt nochmal..."
"Also, Kinder, das finde ich aber gar nicht nett! Wir besorgen extra Kuchen und Sekt für euch und ihr..."
"Was kann ich denn dafür, dass der verdammte Rechner..."
"... also, ich finde jedenfalls, am Geburtstag soll man nicht so rumbrüllen. Vielleicht..."
"Ich habe aber nicht Geburtstag!"
"Na und? Das gilt doch ganz allgemein, oder?!"
"... bestehe jedenfalls darauf, dass ich erst im Dezember Geburtstag... schliesslich hatte ich schon immer im Dezember..."
"Warum seid ihr eigentlich alle so aggressiv?! Am Geburtstag soll man sich doch freuen..."
"... solltet euch eigentlich was schämen, sollte ihr..."
"... ihr spinnt ja alle miteinander! ICH habe nix von meinem Geburtstag bekommen, aber Rinzling, der hat...."
"Kinder, ist vielleicht der 1. April heute... jaja, schon gut... man wird ja noch mal 'nen Witz machen dürfen...."
Mitten in das Getümmel knallt plötzlich die erste Sektflasche, und der Korken erledigt treffsicher eine Neonröhre. Der viel zu warme Sekt spritzt über die kreischende Menge.
"... mein Kostüm!"
"... habt den Sekt nicht kaltgestellt, ihr Idioten, was seid ihr..."
"... mein Kostüm!"
"Moment mal! Ich HABE den Sekt schon GESTERN kaltgestellt..."
"... mein Kostüm!"
Letzteres stimmt sogar. Aber weil ich so gerne warmen Sekt knallen höre, hatte ich gestern beim Weggehen noch schnell die richtige Sicherung geschossen.
Nach ein paar Minuten beruhigt sich die Belegschaft soweit wieder, dass man das weitere Vorgehen besprechen kann. Nach kurzer Debatte wird beschlossen, dass man lieber dem Rechner trauen möge als dem Augenschein - schliesslich seien Rechner sorgfältiger, schlauer und besser informiert als Menschen und machten bekanntlich keine Fehler! Ein paar zaghafte Einwände der 'Geburtstagskinder' werden kurzerhand niedergeschrien. Ausserdem wäre es viel zu schade um die vierzehn Kuchen und den ganzen Sekt, und aus diesem streng logischen Grunde vertagen sich die Mitarbeiter mit sofortiger Wirkung zum Feiern in die Bibliothek. Dort stellt sich nach einer sorgfältigen Erhebung durch den Kollegen Rinzling heraus, dass pro Mitarbeiter 1.2 Flaschen warmen Sekts vorhanden sind. Mit bewundernswerter Hartnäckigkeit und grimmiger Konsequenz schaffen wir es bis zum Abend sämtliche Flaschen zu leeren und alle Geburtstagskuchen wegzuputzen (man muss aber der Ehrlichkeit halber anmerken, dass am späteren Nachmittag die Klingonen-Hausmeister auch noch dazugestossen sind und sich somit das Sektflasche-Mitarbeiter-Verhältnis auf 1,13 gesenkt hat! Ausserdem war auch noch Doro, die brunz-blöde Hausmeister-Dogge anwesend).
Am nächsten Tag wird bekannt, dass fünf Mitarbeiter (unter anderen auch Kollege Rinzling) in der Nacht wegen akuter Kuchen-und-Sekt-Vergiftung stationär behandelt werden mussten. In der Bibliothek stinkt es wie in einer mittelalterlichen Trinkhalle, und das Regal mit den para-psychologischen LEERbüchern ist schon wieder umgefallen. Ausserdem ist Kollege O. beim Hinausgehen auf einer Sektflasche ausgerutscht, hat sich den Knöchel gebrochen und schwenkt jetzt einen grünen Plastik-Gips durch den Gang.
Marianne ist aussergewöhnlich gereizt, macht alle drei Stunden einen Schwangerschaftstest und weigert sich kategorisch, irgendwelche Fragen zu beantworten.
So weit zum volkswirtschaftlichen Nutzen der deutschen Büro-Feier-Tätigkeit...
© Copyright Florian Schiel 1998
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