Das KuMi hat die Unternehmensberatung McKinski beauftragt, die Prozesse in der Uni-Verwaltung zu optimieren. An sich ist es schon ein Witz, in diesem Zusammenhang von 'Prozessen' zu sprechen. Drei Monate stecken ein halbes Dutzend Consultants ihre neugierigen Nasen in alle verstaubten Büros, schrecken Dutzende vor sich hindämmernde Fast-Pensionäre auf und verbraten Spesen in Kilo-DM-Einheiten. Trotz einiger dezenter Andeutungen meinerseits (die natürlich keinerlei Beachtung finden!) wird die Reisekostenstelle nicht durch einen 486 und eine Schreibkraft ersetzt. Statt dessen wird als einziges greifbares Ergebnis der McKinski-schen Analyse ein Verbesserungs-Vorschlags-System (kurz: VVS) eingeführt, mit welchem Mitarbeiter direkte Verbesserungsvorschläge an eine eigens dafür eingerichtete Kommission schicken können. Als Anreiz für den Angestellten winkt bei nachweisbar positivem Effekt ein Fünftel der in den nächsten drei Jahren durch den Vorschlag eingesparten Finanzen.

Kurz nach Bekanntmachung in den Uni-Mitteilungen bricht am LEERstuhl ein wahres Vorschlagsfieber aus.

Der Kollege O. schlägt vor, die Bibliothek (die nebenbei bemerkt seiner Verantwortung unterliegt) nur noch auf schriftlichen Antrag hin zu öffnen. Dadurch könnten die ohnehin nur herumgammelnden Aufsichtspersonen eingespart und die Plastikschutzeinbände weniger abgenutzt werden.
Kollege Rinzling fordert die Gründung einer universitätseigenen Apotheke auf dem Campus. Einsparung: Die Angestellten (nach Rinzlings Angaben zu 74% chronisch krank!) verlieren nicht mehr soviel Zeit beim täglichen Weg in die nächste Apotheke. Nächste Ausbaustufe des Vorschlags: das campusinterne Hospital.
Frau Bezelmann schlägt vor, die Türe zum Sekretariat durch einen Schalter mit kugelsicherem Glas und Wechselsprechanlage zu ersetzen. Begründung: das Sekretariat und die Einrichtung werden nicht mehr von ziellos herumwuselnden Studenten und schwatzenden Mitarbeitern verschmutzt (warum das Glas kugelsicher sein soll, steht nicht in der Begründung). Marianne plädiert für eine Halogenbeleuchtung in der Damentoilette. Einsparung: Weibliche Angestellte und Studentinnen erledigen ihre grundrechtlich gesicherten Schmink- und Puder-Aktivitäten in der halben Zeit.
Yogi Flop, unser parapsychologisch angehauchter Physiker, fordert den Einsatz eines professionellen Hellsehers in der Telefon-Zentrale. Begründung: Der Hellseher soll durch telepathischen Kontakt mit dem Anrufer ermitteln, wen dieser nun wirklich zu sprechen wünscht. Dadurch soll die durchschnittliche Anzahl der Weiterverbindungen von derzeit 12,6 (bekannt als der sog. 'Buchbinder-Wanninger-Effekt') um die Hälfte reduziert werden. Resultat: ein immenser Zeit- und Energiegewinn in der Telefonanlage.
Der Chef hat als Einziger einen vernünftigen Vorschlag zu machen: Das Vorlesungsverzeichnis soll nur noch auf CDROM ausgeliefert werden.
Kostenersparnis: eine halbe Million an Druckkosten pro Jahr. (Ausserdem - aber das steht natürlich nicht im Antrag - erhoffen sich alle von dem Vorschlag, dass sich dann die Einschreibungen in den Fächern Politologie, Philosophie und Psychologie automatisch halbieren werden, weil dieser Menschenschlag sicher versuchen wird, die CD mit der Stereoanlage zu lesen!)

Selbstverständlich habe auch ich einige bahnbrechende Verbesserungen ausgearbeitet.
Zum Beispiel weise ich in einem achtzigseitigen Gutachten nach, dass die gesamte Arbeit der Reisekostenstelle einem regressiven Aufwand-Hardware-Verhältnis unterliegt. Die einzelnen logischen Schritte der Argumentation sind kurzgefasst wie folgt:
1. Die Bearbeitung von Reisekostenanträgen erfordert keinerlei kreatives Denken und ist daher durchweg mechanischer Natur.
2. Daraus folgt, dass ein Rechner im Prinzip besser dafür geeignet ist als ein Mensch, weil der Rechner bekanntlich keine Fehler macht, nicht trinkt oder raucht, nicht krank wird und wenn es sein muss, 24 Stunden am Tag arbeitet.
3. Die Zahl der zu bearbeitenden Anträge ist in den letzten 20 Jahren nicht gestiegen (hauptsächlich deshalb, weil an der Uni jedes Jahr immer mehr Stellen gestrichen werden)
4. Vor 20 Jahren erforderte die Bearbeitung der Anträge noch 20 Vollzeitarbeitskräfte. Dies entspricht etwa der Rechenleistung dreier PDP11 von DIGITAL. Vor zehn Jahren waren es zwei Microvax II. Vor 5 Jahren ein 486.
5. Aus dem allen ist zu extrapolieren, dass der Aufwand gegen NULL strebt (wenn der letzte Professor entlassen ist, kann niemand mehr einen Reisekostenantrag stellen) und gleichzeitig die Leistungsfähigkeit der Computer ungebremst voranschreitet.
6. Die logische Folgerung ist die sofortige Abschaffung der Reisekostenstelle.
(Gerüchten zufolge soll Sethimus Typhon, der B.B.f.H. der Reisekostenstelle, an einem ähnlichen Verbesserungsvorschlag zur Abschaffung aller wissenschaftlichen Institute arbeiten!)

Frau Bezelmann kommt ohne anzuklopfen herein und legt mir wortlos einen neuen Verbesserungsvorschlag auf den Schreibtisch. Der Rabe Nero sitzt auf ihrer Schulter und blinzelt mir mit seinen giftgelben kleinen Augen zu.
Ich überfliege rasch den Text.
"Wenn ich das richtig verstehe", sage ich, "wollen Sie am ganzen LEERstuhl die Oberlichter über den Türen entfernen lassen, damit der Unglücksrabe die Post austeilen kann?"
Frau Bezelmann nickt grimmig; der Rabe krächzt einmal kurz, wie ein bekräftigendes 'Jawoll!'.
"Darf ich mal fragen, wie das gehen soll? Das gerupfte Biest ist doch schon seit Jahren nicht mehr geflogen...."
"Nero", betont Frau Bezelmann mit eisiger Stimme, "ist schon seit drei Wochen beim Physiotherapeuten in Behandlung. Er kann schon wieder fünf Meter am Stück fliegen. In seinem Alter geht das natürlich etwas langsamer, aber..."
"Natürlich!" sage ich sarkastisch. "Das heisst also, in Zukunft werden wir nicht nur Bundeswehrstiefel tragen müssen, weil man alle naselang über diesen rasierklingenbewehrten Geierschnabel stolpert, sondern auch noch Stahlhelme gegen das Guano und etwaige Luftangriffe von oben..."
Frau Bezelmann holt tief Luft, und Nero rudert mit den zerrupften Flügeln um das Gleichgewicht zu halten. Bevor sie loslegen kann, fahre ich fort:
"Wie wärs denn statt dessen mit einer KATZENklappe? Nero marschiert doch sowieso lieber zu Fuss..."
Beim Wort 'KATZE' wird der Rabe wie immer hysterisch und stürzt sich im Stukka-Flug auf mich. Ich halte ihm instinktiv den Bezelmannschen Verbesserungsvorschlag hin, den er in wenigen Sekunden wie eine Furie in Konfetti verwandelt. Dann landet er auf meinem Stack unerledigter Aufgaben, und die Fetzen fliegen wie in einem amerikanischen Blizzard. Frau Bezelmann versucht, ihn am Schnabel zu packen, bevor er meine Augen erreichen kann, und ich gehe hinter meinem zweiten Monitor in Deckung.
In diesem Moment streckt der Chef den Kopf zur Türe herein:
"Ah... ähm... hier...äh... hier sind Sie ja... Frau... hmm... Frau Dings... hmm... Frau Bezelmann..."
Sobald der Rabe den Chef sichtet, wird zahm wie ein Lamm. Das hat Frau Bezelmann ihm beigebracht, damit der Chef nicht mitbekommt, was für einen Killervogel er da in seinem Sekretariat duldet. Nero bringt es sogar fertig, freudig mit dem Kopf zu nicken und ein paar kanarienvogelartige Laute zu zwitschern:
"Tschilp, Piep pieeeep! Tschielp!"
Mit der rechten Kralle scharrt er unauffällig die Reste meines Stacks vom Tisch.
"... achja... äh... ihr.... ihr... ähm... entzückendes... hmm... entzückendes Vögelchen ist auch.... äh... anwesend... ja... so ein... ähm... Zufall. Ich habe nämlich einen... äh... Verbesserungsvorschlag für...hmm... Sie... bzw. für Ihr... äh... Vögelchen. Wir könnten es doch als... hmm... Brieftaube... äh... abrichten, nicht wahr?"
Mit einem triumphierenden eiskalten Blick 'Ich-habs-ja-gleich-gesagt!' rauscht Frau Bezelmann mit dem Chef aus meinem Büro. Während sie den Gang hinuntergehen, höre ich noch, wie sie ihm lautstark ihren/seinen genialen Verbesserungsvorschlag erläutert.

Ich verfluche eine Zeitlang die Firma McKinski nach allen Regeln der Kunst. Dann mache ich mich grimmig an die Ausarbeitung eines weiteren Verbesserungsvorschlag: Die Abschaffung des Verbesserungs-Vorschlag-Systems!


© Copyright Florian Schiel 1998