Ich sitze friedlich in meinem Büro, die Sonne scheint, die Vöglein zwitschern und die Studentinnen in Biergarten vor meinem Fenster versuchen sich durch immer noch kürzere Miniröcke gegenseitig auszustechen. Der Ventilator surrt leise, in der Linken halte ich einen pan-galaktischen Donnergurgler und für alle Fälle habe ich eine Magnum im Kühlschrank. (Keine Handfeuerwaffe; ich spreche von Eis am Stiel!)
Der Chef ist auf einem immens wichtigen Meeting in Kalkutta, Frau Bezelmann hat sich frei genommen, um an einem Fahrkurs für gepanzerte Kettenfahrzeuge teilzunehmen. Nero hat sie solange bei mir untergebracht, und selbst der Rabe sitzt still mit halb geschlossenen gelben Augen in seinem goldenene Käfig in der Ecke und meditiert friedlich.
Endlich einmal ein richtig ruhiger Tag zum arbeiten! Was man an so einem Tag alles schaffen kann!

In Null-Komma-Nix beende ich mein Cron-Skript, das nach einem ausgeklügelten Zufallsystem die Fotos in den Home-Pages der Mitarbeiter ver-morpht. Eine Weile beobachte ich genüsslich, wie Marianne sich in Frau Bezelmann verwandelt oder der Chef in Nero.
Dann kille ich alle CPU-fressenden langweiligen Simulations-Jobs auf dem Server B und schicke den Usern eine mail, in der lapidar steht, dass ihre Jobs mit dem Fehler 'unbekannt' beendet wurden, und dass sie doch gefälligst ihren Code sicherer schreiben sollen, damit sowas in Zukunft nicht mehr vorkomme.
Als nächstes fabriziere ich mir mit Hilfe von PhotoShop ein Dutzend täuschend echter Aufkleber mit Seriennummern kürzlich gekaufter Geräte und plaziere sie auf uraltem Computerschrott, der bei uns auf den Gängen herumsteht. Ich packe die Schrott-Teile sorgfältig ein und schicke sie als Garantiefälle zurück an den Händler. Das wird unseren Gerätepark etwas aufstocken!
Ich korrigiere noch in Rekordzeit zwei Dutzend Diplomarbeiten, die schon Schimmel angesetzt hatten, und denke gerade, dass ich mir nach dieser hektischen Aktivität nun wirklich einen Espresso verdient habe, als das Telefon düdelt.
Nach all der Arbeit kommt es auf einen Anruf mehr oder weniger auch nicht mehr an, also hebe ich ab.
"Hallo", sage ich.
An der Westküste habe ich gelernt, wieviel schlauer doch eigentlich die Amis sind: sie melden sich am Telefon nie mit dem Namen. In Notfall können sie dann immer noch sagen, sie seien nur die Putzfrau oder der Papagei oder so tun, als seien sie der Blechtrottel vom Dienst.
"Hallo? Hier ist der Unterhachinger Kabelkanal 93. Breitkofler-Senfblut ist mein Name. Spreche ich mit Herrn Leisch?"
Eine typische Journalien-Stimme.
"Kann sein", sage ich vorsichtig.
"Wir haben von Ihrem Buch gehört und würden gerne..."
"Sie müssen falsch verbunden sein", sage ich, "ich habe kein Buch geschrieben."
"Aber... aber Sie SIND doch Herr Leisch, oder? Der aus dem Buch..."
"Das ist alles erstunken und erlogen", sage ich hastig, "reine Fantasie, Fiktion, halluzinogenes Gestammel eines erfolglosen Krimiautors. Ich habe nichts damit zu tun und ausserdem sage ich kein Wort, das gegen mich verwendet werden könnte!"
Kurze Pause. Dann schmeichelnd mit drohendem Unterton:
"Aber Herr Leisch. Wenn Sie uns kein Interview geben, machen wir den Beitrag halt ohne Sie. Dann müssen wir uns eben an die Informationsquellen halten, die uns schon vorliegen. Wir könnten sogar aus dem Buch zitieren..."

Das ist glatte Erpressung! Ich versuche, wenigstens das Beste daraus zu machen:
"Wie hoch ist denn das Honorar?"
"Honorar?" fragt Breitkofler-Dingsbums erstaunt. "Normalerweise zahlen wir keine Honorare für Interviews..."
"Dann auf Wiedersehen", sage ich.
"MOMENT", schreit er. "Wir könnten vielleicht und als ganz grosse Ausnahme..."
Es folgen 20 Minuten zähen Verhandelns. Dann drücke ich dreimal auf die Null-Taste und sage:
"Augenblick. Ich bekomme gerade einen Anruf auf der anderen Leitung. Moment bitte!"
Dann drücke ich eine Minute auf die Stummtaste und lasse Breitkofler-Dingsbums etwas schmoren.
"Sind Sie noch da?" melde ich mich wieder. "Das war der Oberhachinger Kabelkanal 107. Die wollen auch ein Exklusiv-Interview, und zwar schon morgen früh. Allerdings bieten die das Dreifache an Honorar..."
Die Journalie schnappt nach Luft. Eine Stunde später einigen wir uns auf einen Exklusiv-Bericht mit Vorort-Aufnahmen und Interview für einen Preis, der für einen Kurzurlaub auf den Malediven reichen sollte.
Ja, sie wollen schon heute nachmittag um zwei Uhr anrücken. Nein, ich müsse mich nicht vorbereiten. Man werde das ganz locker, flockig und entspannt über die Bühne bringen. Oh nein, von einer Beeinträchtigung des LEERbetriebs könne gar keine Rede sein; sie würden so was von leise und unauffällig sein, die reinsten Mäuschen.

Erst gegen drei Uhr nachmittags, gerade als ich gehen will, rumpelt es plötzlich auf dem Gang, gefolgt von einem ohrenbetäubenden Krachen und Klirren, dem sich eine lockere Folge von wüsten Flüchen und anderem Geschrei anschliesst. Ich gucke aus meinem Büro und sehe einen grossen zerschmetterten Scheinwerfer am Boden sowie einen lila angelaufenen Aufnahmeleiter, der gerade den Techniker nach allen Regeln der Kunst zur Sau macht. Der Pechvogel ist mit seinem blöden Scheinwerfer an meiner Kartonfalle auf dem Aktenschrank hängengeblieben. Mist! Jetzt darf ich morgen wieder alles kunstvoll aufbauen, bevor die ersten Blondinen auftauchen (Vgl. B.A.f.H., S. 28).

Während das Aufnahmeteam noch kräftig streitet, windet sich ein junger Typ mit grossgemustertem Jackett, gelber Krawatte und einem strahlenden Lächeln auf dem Gesicht durch das Chaos (der lila angelaufene Aufnahmeleiter versucht soeben, dem Tontechniker, der sich auf die Seite des Lichttechnikers geschlagen hat, mit seinem eigenem Mikro das Maul zu stopfen) und stellt sich als Breitkofler-Senfblut vor.
"Wo können wir denn am besten drehen, ohne den Betrieb hier zu sehr aufzuhalten?!" schreit er munter, um den Tumult vor meinem Büro zu übertönen.
Ich lotse den ganzen Haufen in die Bibliothek, weil sie da wahrscheinlich am meisten stören werden, und das Team macht sich mit Feuereifer sofort ans Werk.

Für jeden Bastard X from Hell ist es immer wieder ein willkommener, aber leider sehr seltener, glücklicher Zufall, wenn auch ohne sein aktives Zutun das Chaos ausbricht. Er kann sich dann entspannt zurücklehnen und muss nur ab und zu das richtige Stichwort geben, damit alles seinen gewünschten Gang geht.
Das Kamerateam vom Unterhachinger Kabelkanal 93 ist in dieser Hinsicht erste Wahl!
Es beginnt ganz harmlos damit, dass der Kameramann während der vorangegangenen Handgreiflichkeiten seine Kontaktlinsen verloren hat und nun die Kamera nicht mehr scharfstellen kann. Das gesamte Team rutscht auf den Knien - sehr zur Belustigung einer Gruppe von Studentinnen, die zufällig vorbeikommen - und grast den Gang in voller Länge ab, bis sie die winzigen Dinger im Aschenbecher finden (wo ich sie vorher diskret plaziert hatte). Nachdem der fluchende Kameramann - er ist Nichtraucher! - seine Augen wieder hineingeschraubt hat, erkennt er sofort mit fachmännischen geschärftem Blick, dass das Licht wiedermal völlig falsch plaziert ist. Der Aufnahmeleiter, der vor ein paar Minuten noch selber die Stellung der Scheinwerfer so angeordnet hatte, gibt dem Kameramann sofort recht, weil ihm das die Gelegenheit gibt, den Lichttechniker nochmal gründlich und vor aller Mannschaft zur Sau zu machen. Das wiederum verdriest den Tontechniker, der offensichtlich eine feste Allianz mit dem Licht eingegangen ist, dermassen, dass er bei allen folgenden Probeaufnahmen etwas auszusetzen hat. Einmal habe der Aufnahmeleiter gehustet, dann hat angeblich seine Krawatte (auch gelb) geraschelt, und schliesslich behauptet er steif und fest, er könne den Aufnahmeleiter als einzigen von 12 anwesenden Personen mit 30 dB Rauschabstand schnaufen hören, und ob dieser nicht besser draussen warten wolle, dann sei man sowieso viel schneller fertig.
Der Aufnahmeleiter läuft wieder lila an und holt gerade tief Luft, als Breitkofler-Senfblut sich todesmutig in die Bresche wirft und verkündet, dass nunmehr eine Pause von 15 Minuten angesagt sei. Das ganze Team schreit geschlossen nach Kaffee (der Lichttechniker schreit nach Bier), und als sich kein Kaffee auftreiben lässt, weil Frau Bezelmann in weiser Voraussicht ihre Kaffeevoräte weggesperrt hat, verschwinden sie vorerst mal im benachbarten Cafe Presse.

Breitkofler-Senfblut bleibt zurück und spricht mit mir das Interview durch. "Also, wir machen das wie gesagt ganz flockig, locker und entspannt. Sie können so reden, wie Ihnen der Schnabel gewachsen ist. Wir können das ja hinterher immer noch... hm... schneiden, oder so. Ich werde also einfach ein paar Fragen stellen, nicht wahr, wie es zu dem Buch über Sie gekommen ist, und wo Sie den Autor kennengelernt haben, und dann erzählen Sie vielleicht noch ein Anekdötchen, am besten sogar etwas, was noch nie veröffentlicht wurde, nicht wahr?"
"Ok", sage ich, "kann ich dabei über die Kirche herziehen?" Breitkofler-Senfbluts strahlendes Lächeln bröckelt etwas auf der rechten Seite.
"Äh... hm... Kirche... inwiefern herziehen...?"
"Jaa... zum Beispiel könnte ich erzählen, dass ich mal im Abrechnungs-Computer des erzbischöflichen Ordinariats ein paar Bordell-Rechnungen aus Hongkong gefunden habe..."
Der Journalist windet sich wie eine Boa Constrictor mit durchgebrochenem Magengeschwür.
"Also... äh... tja, eigentlich hat unser Kanal ziemlich gute Beziehungen zur katholischen Kirche; die lassen uns immer die Sonntagsmesse life übertragen.... ähm... Sie verstehen..."
"Gut, also keine Bordell-Rechnungen. Wie stehts mit der CSU? Kann man wenigstens die erwähnen?"
Breitkofler-Senfblut windet sich womöglich noch mehr als bei der Frage nach der Religion.
"Erwähnen... ähm... sicher... was würden Sie denn gegebenenfalls erwähnen?"
"Na, da wär zum Beispiel die nette Geschichte über Max Strauss und seinen dienstbaren Virus, der gerade noch rechtzeitig, bevor die Steuerfahndung kam, alle belastenden Daten auf seinem Laptop gelöscht hat..."
"Um Gottes Willen! Ich meine... äh... ich wollte sagen, das ist ja wohl nicht so ganz beim Thema, oder? Wir wollten doch über das Buch reden, nicht wahr...?"
Langsam frage ich mich, ob der Typ das Buch überhaupt gelesen hat.
Wahrscheinlich nicht. Sonst wäre er brav in seiner Redaktion geblieben.
Breitkofler-Senfblut lockert sich mit dem Zeigefinger den Kragen und schaut mich unglücklich an:
"Sie müssen verstehen... wir sollen uns ja auch dem... äh... geistigen und... äh... sozialgesellschaftlichem Niveau unserer Hörer etwas, sagen wir, anpassen... ja..."

Ich überlege angestrengt.
"Wie wärs dann damit: letzte Woche war einer von der BILD hier und hat Aufnahmen gemacht für einen bescheuerten Lückenfüller. Dem habe ich den vollen Film heimlich durch eine Rolle mit lauter Pinup-Girls aus dem Internet vertauscht..."
Das bekümmerte Gesicht von Breitkofler-Senfblut heitert sich sichtlich auf.

"Das ist genau, was wir brauchen! Perfekt! Erzählen Sie das genauso nachher bei der Aufnahme. Das wird der Brüller in der Morgensendung zwischen 4 und 5!"

Inzwischen ist das Team vom 'Kaffeetrinken' zurück und macht sich torkelnd daran, das Licht zum dritten Mal neu einzustellen. Der Aufnahmeleiter stinkt nach Schnaps und hat sich anscheinend mit dem Lichttechniker wieder versöhnt. Sie hauen sich dauernd gegenseitig auf die Schultern, dass es kracht, und brüllen:
"Bist doch 'n prima Kumpl! Prima Kumpl bistu!"
Der Lichttechniker bastelt gerade an einer atemberaubend kühnen Konstruktion auf dem Bücherregal mit den Grundlagen der Physik, als der Kollege O., der endlich mitbekommen hat, dass in seiner geheiligten Bibliothek etwas ausser der Ordnung vorgeht, zornschnaubend hereinstürzt.
Der Kollege O. ist nämlich für die Bibliothek verantwortlich. Dummerweise hatte ich kurz vorher in der begründeten Angst, dass jemand über die Lichtkabel stolpern könnte, diese vorsorglich in einer lockeren Schlinge über die Türklinke gelegt. Als O. die Türe aufreisst, stürzt ihm die gesamte moderne Physik einschliesslich eines brennenden Filmscheinwerfers entgegen.

Damit ist nunmehr nur noch ein einziger Scheinwerfer übrig, den der Lichttechniker krampfhaft umklammert hält. Der Aufnahmeleiter läuft wieder lila an und will zur Abwechslung mal den völlig verdatterten und unter schwer verdaulicher Physik begrabenen Kollegen O. zu Sau machen, aber Breitkofler-Senfblut wirft sich selbstlos dazwischen.
Wir befreien den zitternden O. und räumen die moderne Physik vorerst mal hinter das Regal mit der Metaphysik des 16. Jahrhunderts und damit ausser Sichtweite.
Der letzte Scheinwerfer wird plaziert, und alles ist fertig für den ersten Shot, aber der Tontechniker ist plötzlich verschwunden. Suchtrupps werden ins Cafe Presse ausgeschickt, aber schliesslich finden wir ihn schlafend auf dem Klo. Breitkofler-Senfblut verteilt Red Bull und endlich scheint das Team einsatzbereit. Der Aufnahmeleiter hält die Luft an, Ton läuft, Kamera läuft, und Breitkofler-Senfblut und ich, wir machen endlich den ersten Shot. Es klappt alles ganz prima, das Team ist begeistert über den doofen BILD-Fotographen, nur im letzten Satz huscht plötzlich etwas Schwarzes durchs Bild und Nero landet auf meiner Schulter. Wahrscheinlich wollte er endlich wissen, was da in der Bibliothek stattfindet und hat wiedermal die Fusskette durchgebissen. Jetzt krallt er sich in meine Schulter, dass ich brüllen könnte, und starrt mit seinem gelben Augen aufdringlich mitten in die Kamera. Breitkofler-Senfblut ist begeistert, der Aufnahme-Leiter findet es bescheuert, und der Kameramann weigert sich standhaft, den letzten Satz mit Nero zu wiederholen. So was Grässliches könne er nicht aufnehmen; das verbiete sein Berufsethos.
"Und ausserdem", sagt er, "ist sowieso zu wenig Licht hier drin. Draussen ist es schon dämmrig, und mit nur einem Scheinwerfer ist das nicht zu machen..."
Breitkofler-Senfblut, der inzwischen gemerkt hat, wer eigentlich der Platzhirsch in der Bibliothek ist, wendet sich ungeniert an den Kollegen O., der erschöpft in einem Besuchersessel sitzt und seine Wunden leckt. Ob man morgen ganz früh so ganz locker nochmal vorbeikommen könne, fragt er strahlend. Kollege O. schnappt nach Luft und wird fast so lila wie der Aufnahmeleiter. Bevor ihm etwas Gescheites einfällt, haut ihm der Lichttechniker so kräftig auf die Schulter, dass ihm die Brille von der Nase rutscht, und brüllt:
"Bist ein prima Kumpel! Bis morgen denne!"


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