Wenn sich immer wieder die gleichen Leute in halbjährlichem Abstand an den schönsten Orten der Welt zum Sightseeing treffen, nennt man das normalerweise einen gut organisierten Urlaubs-Club.
Unter Wissenschaftlern oder solchen, die es gerne wären, nennt man das 'Auf-eine-Konferenz-fahren' oder 'Auf-einer-Konferenz-ein-Paper-geben', und es gilt als fester Bestandteil des nervenaufreibenden und schlecht bezahlten Dienstes für das Gemeinwohl.
Natürlich kommt so etwas nicht von ungefähr. Man muss zunächst mal dafür sorgen, dass immer genügend Reisegelder durch sinnlose internationale Forschungsprojekte wie etwa unser SCHWAFEL-Projekt hereinkommen. Dann sollte man unbedingt auf allen einschlägigen Mailing-Listen eingetragen sein, damit man auch ja keinen 'Call for Papers' verpasst. Und schliesslich muss man, um den Schein zu wahren, alle halbe Jahre sich etwas aus den Fingern saugen, was halbwegs als wissenschaftliche Veröffentlichung durchgehen kann.
Wenn man es richtig anstellt, kann man auf diese Weise den Jahresurlaub auf Staatskosten nochmal verdoppeln!

Natürlich sind uns - wie auf allen anderen Gebieten - auch hier die Amis mal wieder weit voraus. Nach dem ungeschriebenen Gesetz 'Publish or Perish' wird dort jeder wissenschaftliche Fuzzy gezwungen, im Jahr mindestens 10 Veröffentlichungen aufzuweisen. Da der Aufwand eines Konferenz-Papers in Vergleich zu einer Buchveröffentlichung etwa in Verhältnis vom Errichten eines Kartenhauses mit dem Empire State Building steht, fahren alle 'WissAmis' (wissenschaftliche Amerikaner) 10-12mal im Jahr auf immens wichtige Workshops, Meetings und Konferenzen (vorzugsweise nach Europa oder Hawaii). So betrachtet ist der eher dürftige Jahresurlaub von 20 Tagen bei den Amerikanern gar nicht so schlecht!

Von geradezu fundamentaler Bedeutung ist der Konferenzort. Untersuchungen der letzten Jahre haben ergeben (kein Scheiss!), dass die wissenschaftliche Qualität einer Konferenz aus der Sicht der Teilnehmer sich proportional zu japanischen Tourismus-Index des Konferenzortes verhält. Ein Workshop in Wuppertal hat somit nicht die mindeste Chance gegen ein Meeting in Miami Beach.

Während man noch vor einigen Jahren froh sein musste, wenn man mit irgendwelchen Tricks durch den sog. 'Review Process' geflutscht war, ist es heutzutage eher schwierig abgelehnt zu werden, weil die Veranstalter um jeden zahlenden Konferenzteilnehmer kämpfen. Um das detailliert auszutesten, haben Kollegen von mir (Hallo, Jungs!) vor ein paar Jahren 3 Paper zur Begutachtung an eine ziemlich kostspielige Konferenz in England geschickt. Das erste Paper war gut formuliert, oberflächlich fehlerfrei und behandelte ein Thema, das zumindest von ferne etwas mit dem Thema des Workshops zu tun hatte. Der Inhalt war jedoch bei näherem Hinsehen völliger Blödsinn: es ging um die Dia-Projektion von Texturen auf weisse Wände, um architektonische Effekte hervorzurufen. Das zweite Paper bestand aus lauter Absätzen, die sie aus alten Veröffentlichungen über das gleiche Thema herausgeschnitten hatten. Inhaltlich hatten die einzelnen Teile des Paper natürlich überhaupt nichts mit einander zu tun. Das dritte Paper entstand, indem die Kollegen mit einem Zufallsgenerator Wörtergruppen aus dem letztjährigen Konferenzband ausgewählt und zu Pseudosätze zusammengeklebt haben. Mit ein bisschen nacheditieren entstanden dabei so tiefsinnige Sätze wie: "Überspezifizierter im anderen Verlauf zu bei unter der Gesamtbetrachtung peralux-empfindlicher hat jedoch bei näherer Konstitution abgeleitet."
Alle drei Paper wurden unter verschiedenen Pseudonymen bei der Konferenz eingereicht. Alle drei Paper wurden angenommen!

Natürlich kann auch der BAfH bei solch wichtigen sozial-wissenschaftlichen Ereignissen nicht fehlen. Deshalb stehe ich jetzt hier mit etwa 40 anderen Konferenzteilnehmern auf dem windigen Flugfeld der sechsten Galapagos-Insel von rechts und warte auf die Jeeps, die uns ins Kongresszentrum des WÜRG '98 bringen sollen ('Workshop on Unified Erected Rotation Gravitrons').

Kleine unbekannte Inseln sind der letzte Schrei im Konferenz-Tourismus. Die grossen Metropolen sind schon lange out. Mit New York oder London kann man heute keinen akademischen Hund mehr hinterm universitären Ofen hervorlocken! Eine Zeit lang waren dann die klassischen Beach Places wie Miami, Hawaii oder die Karibik der Renner. Aber irgendwann merken sogar die Professoren, dass jeder Strand auf diesem Planeten gleich aussieht, und einem überall die gleichen in Hongkong gefertigten Souvenirs angedreht werden.
Um die reisende Wissenschaft bei der Stange zu halten, begannen die Konferenz-Veranstalter in den letzten Jahren nach immer exotischeren Reisezielen Ausschau zu halten. Kreta, Beirut, Bogota und zunehmend Orte wie Klein-Wülfer-Rode waren plötzlich sehr gefragt. Der Wissenschaftstrip wurde zum Adventure Game, manchmal gepaart mit echtem Überlebenstraining. Die spannende Frage, wo es denn dieses Jahr sein wird, und wie, verdammt nochmal, man da hinkommt? In den späteren Berichten über den Workshop wird nicht die ehrenvolle Teilnahme an sich hervorgehoben, sondern die Tatsache, dass man den Konferenzort überhaupt gefunden hat, und welche Abenteuer man auf dem Anreise- und Abreiseweg bestehen musste.
Während der letzten COMICS ('Conference on Multi-Spatial Interjected Collaps-Simulations'), die auf St. Helena stattfand, musste die an sich geplante Konferenzdauer von 3 Tagen spontan auf 6 Wochen verlängert werden, weil der Pilot des einzigen Flugzeugs der einzigen Fluglinie, die dieses sturmumtoste Eiland anfliegt ('Helena CruisAir'), mit einem Malaria-Anfall daniederlag. Der letzte WÜRG fand auf einer kleinen griechischen Insel statt, deren Name ich schon längst wieder vergessen habe und die nicht einmal über ein Flugfeld verfügt. Nachdem 1600 Konferenzteilnehmer mehr oder weniger seekrank mit Motorbooten vom Piräus herangeschifft worden waren, stellte sich heraus, dass infolge eines Kommafehlers im Windoofsrechner des Veranstalters auf der ganzen Insel statt 1600 Betten nur 16 Betten zur Verfügung standen. Ausserdem kam es im Verlauf der Konferenz zu akuten Versorgungsproblemen. Böse Zungen behaupten noch heute, dass von 1600 angekommenen Teilnehmern nur ca. 1489 die Insel wieder verlassen haben.

Während wir auf die Jeeps warten, begrüsst man alte Bekannte und erzählt spassige Anekdoten über die letzten Konferenzen. Die Stimmung ist eher gehoben, denn immerhin gehören wir zu der privilegierten Gruppe, die noch einen Platz in der zweimotorigen Citroen 37 ergattert haben. Die anderen Teilnehmer (Fischerkutter) werden nicht vor Mitternacht erwartet, weil vor der Küste ein Sturm aufzieht. Ausserdem regnet es zwar heftig, aber die Konferenzleitung hat in weiser Voraussicht bereits während des Fluges die 12 Kilo schweren Konferenzbände austeilen lassen, die sich ganz ausgezeichnet als Regenschutz bewähren.

"Oh, Prof. Schnürzli! How nice to meet you here..." (in Anbetracht der vorwiegend deutschen Leserschaft bringe ich die Dialoge ab hier in deutscher Synchronfassung) "... ist das nicht ein Zufall? Dass wir uns auch immer wieder so ganz zufällig in die Arme laufen... Wie sagen Sie? ... Ja, ganz recht. 'Arme' ist nicht richtig. Sie habe ja nur noch einen Arm, haha! Das war doch der Hai in... Moment, ich komm' schon noch drauf!... War das nicht auf der WaveTec '92 in Labrador? Wo Sie unbedingt schwimmen gehen wollten, und alle anderen haben gesagt... Ach so? In Polynesien auf der SALTO '93 erst? ... Sehen Sie, mein Gedächtnis lässt eben auch nach, hahaha..."
"... und dann stand ich in Bogota auf dem Flugfeld und will gerade meine Tasche mit den ganzen Konferenzunterlagen vom Band nehmen, als plötzlich von irgendwoher Maschinengewehrfeuer... Wie? Sie waren auch da??? Am vergangenen Dienstag? Ich habe Sie gar nicht bemerkt... Ach, SIE waren der Mann mit dem grünen Koffer, der den Alarm ausgelöst hat... Aha, verstehe. Zwei glatte Durchschüsse im rechten Lungenflügel? Nochmal Glück gehabt, wie?... Und wie sind die Hospitäler so in Bogota?... Aha, wie schön. Na, jedenfalls trifft so ein blöder Feuerstoss meine Mappe mit allen Overhead-Folien für die Konferenz... Sie können sich vorstellen, wie ich mich aufgeregt habe..."

Nach nur dreieinhalb Stunden kommen die Jeeps und karren uns querfeldein zum Konferenzort, einer Ansammlung romantischer Hütten direkt an der Steilküste. Blaue Drachenechsen beobachten uns, während wir uns brav zur 'Registration' anstellen. Laut bayerischen Reisekosten-Gesetz habe ich natürlich die billigste Zimmerkategorie bestellen müssen (ohne Dusche, aber immerhin garantiert kakerlaken-frei!). Für einen erfahrenen Konferenz-Gänger wie mich ist das kein Problem. Ich zücke den Reisepass vom Kollegen O., den ich ihm kurz vor der Abreise geklaut habe, und eine mit PhotoShop gefälschte Reservierungsbestätigung auf seinen Namen. Natürlich in der höchsten Zimmerkategorie. Nach irgendeinem fundamentalen Naturgesetz geht bei der Konferenzorganisation immer irgendetwas schief. Deshalb wundert sich niemand mehr, wenn Leute auftauchen, die auf keiner Liste zu finden sind. Hauptsache, zum Schluss stimmt die Gesamtzahl der Teilnehmer!

Die Eröffnungssitzung am nächsten Tag wird kurzfristig um 24 Stunden verschoben, weil der Fischkutter mit den restlichen 180 Teilnehmern noch verschollen ist. Statt dessen dürfen wir uns kostenlos einem Workshop über die 'Darwinsche Entstehung der Arten' anschliessen, der vom Bund der süd-patagonischen Vogelliebhaber organisiert wird. Am abend, nach einem anstrengenden Marsch über windzerzauste Hügelketten vermisse ich Prof. Schnürzli und seine blonde Assistentin. Um nicht taktlos zu wirken, stelle ich keine Fragen. Drei Tage später werden die beiden an anderen Ende der Insel wiederaufgefunden. Angeblich haben sie sich auf der Vogeltour verirrt und drei Tage nur von Schildkröteneiern gelebt. Ich glaube kein Wort.

Am dritten Tag beginnen endlich die eigentlichen Sitzungen, vornehm 'Sessions' genannt. Nach klassischen Vorbild finden immer fünf Sessions parallel statt, so dass die Teilnehmer, die tatsächlich an den Inhalten der Konferenz interessiert sind, wie die gebissenen Affen zwischen den einzelnen Bungalows hin- und herrennen müssen. Wir anderen, etwas erfahreneren Teilnehmer liegen derweil am Swimmingpool und lassen uns als sogenannten 'Satellite Event' die neueste Pool-Mode aus L.A. vorführen. Steht ja sowieso alles in den durchgeweichten Konferenzbänden. Wozu also die Hektik. Ausserdem kann man am Pool in entspannter Atmosphäre viel besser wichtige forschungspolitische Kontakte knüpfen. Dummerweise stelle ich am nächsten Morgen fest, dass die kleine Dunkelhaarige mit den grünen Augen wenig forschungspolitisches Potential zu bieten hat, weil sie gar nicht zu unserer Konferenzgruppe gehört, sondern zu den süd-patagonischen Vogelbeobachtern. Dafür hat sie andere nicht zu verachtende Potentiale...

Die WÜRG '98 schreitet unerbittlich voran. Kleine Zwischenfälle geben dankbaren Gesprächsstoff für die langen Abende in der zugigen Bar der Konferenzhütte. Zum Beispiel muss die geplante Poster-Session im Freien ausfallen, weil ein unerwartet heftiger Windstoss 80% der Poster ins Meer weht. Die Konferenzleitung lässt sich später entschuldigen, weil sie die Teilnehmer nicht rechtzeitig über die tödlichen Quallen in diesen Gewässern hingewiesen hatte. Drei Teilnehmer, die sich in todesmutigem wissenschaftlichem Enthusiasmus in die Wellen gestürzt haben, um ihre wertvollen Poster zu retten, müssen noch in der Nacht in Spezialkliniken nach Chile ausgeflogen werden.
Während des Vortrags von Prof. Schnürzli implodiert plötzlich die Quecksilberdampflampe im Overhead-Projektor, was ihn zu der launigen Bemerkung veranlasst, nun habe er wenigstens einmal in seinem Leben auf einer Konferenz einen Knalleffekt gesetzt, und ausserdem seien die Folien sowieso beschissen gewesen.
Oder die rothaarigen Assistentin von Prof. Scharl Atan der Universität Detroit, die mit einem kleinen Striptease versucht, Aufmerksamkeit für ihr uninteressantes Poster zu erregen. Leider mit nur mässigem Erfolg, weil einfach bestimmte anatomische Voraussetzung bei ihr nicht gegeben sind.

Wie immer gibt es zu diesem Workshop zahlreiche lästige Arbeitsgruppen, die sich mit schwierigen Detail-Problemen befassen sollen, und natürlich das obligatorische Bankett oder 'Social Event'. Die Anmeldequote für die Arbeitsgruppen liegt laut Konferenzleitung bei durchschnittlich 2.4%, während das 'Social Event' mit 110% vollständig ausgebucht ist. Während des Banketts - das Essen wird allgemein als 'eher durchschnittlich' eingeschätzt - geht der Catering-Firma infolge eines peinlichen Fehlers im logistischen Computerprogramm nach dem ersten Glas pro Teilnehmer der Wein aus. Die versammelte Wissenschaftsgemeinde ist empört und steigt geschlossen und um sich schadlos zu halten auf härtere Getränke um.

Infolge dieses bedauerlichen Lapsus wird die WÜRG '98 für immer als 'Die-Konferenz-wo-ihnen-der-Wein-ausging' im Gedächtnis der wissenschaftlichen Fachwelt hängenbleiben.

© Copyright Florian Schiel 1998

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