Heute haben sich die Fensterputzer der Firma 'Blitzblank' angemeldet (das Superhirn, das sich diesen phantasievollen Namen ausgedacht hat, möchte ich gerne mal kennenlernen!).
An sich schätze ich eine gewisse Patina auf meinen Fenstern, weil dann nicht so viel blendendes Licht in mein Büro fällt (besonders am frühen Morgen). Andererseits ist so eine Putzaktion immer eine gute Gelegenheit, für den Rest des Tages in der Cafeteria zu verschwinden - wenn man es richtig anstellt!
In der Ankündigung der Haustechnik steht in hochtrabendem Amtsdeutsch:
"Um eine zügige Durchführung der Arbeiten nicht zu behindern, werden die Angestellten angewiesen, ihre Arbeitsflächen und Fenstervorbauten von allen Gegenständen freizumachen..."
('Machen Sie sich bitte frei' - wie bei der Einstellungsuntersuchung!)

Ich packe noch ein halbes Dutzend müde heulender Winchesterlaufwerke auf die ohnehin schon überlastete Fensterbank und schiebe den Labortisch mit meinem 'STACK' (STapel Ausgearbeiteter Chaotischer Katastrophen; ca. 89 cm hoch) näher ans Fenster. Dann tupfe ich in den Fensterecken ein wenig Silicat-Lösung auf die Scheibe. Das Silicat verbindet sich mit den Glas und verursacht trübe Stellen, die sich nicht mal mehr mit dem Glasschaber entfernen lassen.

Nach diesen Vorbereitungen verschwinde ich mit Marianne im Cafe 'Zum faulen Studenten' hinter dem Uni-Hauptgebäude (DAS ist mal ein guter Name!) und lasse mir den neuesten Uni-Tratsch berichten.
Ich muss ja schliesslich wieder auf dem Laufenden sei, wer gerade mit wem oder warum nicht mehr, was an drohenden Einstellungen bzw. Entlassungen ansteht, wer gerade die R.K.f.H. ('Reisekostenstelle from Heaven') leitet, wer einen Elch-Mercedes fährt und wer nicht, etc. pp.
Man kann ja so leicht ins Fettnäpfchen platschen! So wie der Kollege O., ein eingefleischter Junggeselle, der neulich mit Prof. K. von der physikalischen Optik im Aufzug stecken geblieben ist, weil ich gerade einige hochinteressante Hochspannungsversuche im Labor 3 durchgeführt hatte (diese neumodischen Schaltsicherungen vertragen überhaupt nichts mehr.
Früher konnte man die Schmelzsicherungen bei Bedarf noch durch Zimmermannsnägel ersetzen. Heute fliegt schon der Fehlstromschutzschalter 'raus, wenn ich nur am Sicherungskasten vorbeischlendere...). Jedenfalls steckt O. mit Prof. K. im Aufzug fest, und sie kommen irgendwie aufs Thema Ehe zu sprechen. O., der K. bisher nur als standhaften Hagestolz kannte, bringt wie üblich seine abfällige Meinung über diese Institution in markigen Worten untermalt mit einschlägigen 'Herrenwitzen' zum Ausdruck.
Erst nach der spektakulären Befreiung über die Inspektionsklappe (aber das ist eine andere Geschichte!) teilt K. dem O. beiläufig mit, dass er vorgestern geheiratet habe.

Keine drei Stunden später schlendere ich zurück in mein Büro, um nach den Fensterputzern zu gucken. Ein Mädel im Blaumann balanciert zwischen den heulenden Winchestern auf dem Fensterbrett herum und verschmiert waghalsig aus dem Fenster hängend mehr oder weniger erfolgreich den angesammelten Dreck auf der Aussenseite meiner Fenster.
"Gleich fertig!" versichert sie strahlend, trotz erschwerter Arbeitsbedingungen. Dabei ist es noch nicht mal zwei Uhr!
In den benachbarten Büros schaut es ähnlich aus.

Ich gehe ins Sekretariat zu Frau Bezelmann und rufe unten beim Pförtner an. Es sei ein Skandal, sage ich empört. Hundertmal schon hätten wir die Pforte gebeten, die Jalousien auf der Ostseite sofort herunterzulassen, wenn die Sonne direkt in die Büros scheine. Man könne ja gar nichts mehr auf dem Display erkennen, wie solle man da vernünftig arbeiten, und so weiter und so fort.
Frau Bezelmann öffnet protestierend den Mund - und klappt ihn wieder zu. Dann schaut sie gespannt hinüber in das Büro des Chefs, wo ebenfalls gerade ein Blaumann im Fenster hängt. Ihre herabgezogenen Mundwinkel vertiefen sich unmerklich. Der Rabe Nero krächzt leise.
Die hirnlose Pforte aktiviert brav in allen Büros gleichzeitig die Jalousien.
Spitze Schreie ertönen von allen Enden des Instituts; eine Leiter kracht irgendwo mitten in einen Praktikumsversuch; mehrere Eimer voll mit dreckigem Putzwasser sausen in den Biergarten hinunter und zerplatzen wie Wasserbomben mit einem schmatzenden Geräusch auf dem Betonboden.
Mit einem alten ThickWire-Kabel retten Marianne und ich vom dritten Stock aus einen Putzer, der sich geistesgegenwärtig an den Blitzableiter geflüchtet hat. Frau Bezelmann spricht ihrem Putzer, der am Fensterbrett des Chefs hängt, von ihrem Fenster aus Mut zu, bis die Hausmeister die Leiter bringen.

Insgesamt mal ein erfreulich abwechslungsreicher Nachmittag...


© Copyright Florian Schiel 1998

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