Fuer manche Leute war frueher alles besser. Im Sommer schien praktisch ununterbrochen die Sonne, im Winter lagen mindestens drei Meter richtig weisser Schnee (und nicht nur nebeneinander!). Die Studenten waren schlauer, die Studentinnen huebscher und die Professoren professoriger. Die Uni war noch eine richtige Universitaet, wo Leute ohne Robe und Hut nichts zu suchen hatten. Die Stundenplaene waren duenner bzw. existierten nur in der Phantasie besonders krankhaft veranlagter Streber, die Biergaerten waren gruener, das Bier billiger und die Wespen stachen heftiger als heute.
Der LEERkoerper bestand aus einem Haufen vertrottelter und bezwickerter, aber liebenswerter Graubaerte, die bei zahlreichen Anlaessen hoechst wuerdevoll in ihren schwarzen Talaren hinter dem Dekan einherzuschreiten vermochten. Und die Hausmeister hiessen noch Pedelle und waren originelle Schlitzohren, die heimlich unter dem grossen Physiksaal illegal Bier an die Studenten ausschenkten und im Fasching zwei Augen zudrueckten, wenn in der Anatomie schweinische Orgien gefeiert wurden. Mit den Worten eines grossen Dichters: Damals waren kleine pelzige Wesen von Alpha Centauri noch richtige kleine pelzige Wesen von Alpha Centauri. Einfach Klasse!
Andere Leute sind der Meinung, dass frueher alles alles eher bescheiden aussah. Es gab noch kein Ozonloch, so dass man ewig im Englischen Garten herumflezen musste , um einen gescheiten Teint zu bekommen (selbst bei grosszuegiger Applikation von Tiroler Nussoel), es gab haufenweise Schnee aber keine Snow-Boards, um darauf herumzurutschen, kein MTV. Die Studenten waren ein Haufen eingebildeter, verzogener Muettersoehnchen mit albernen Muetzen, die Studentinnen - sogenannte 'hoehere Toechter' - gingen hauptsaechlich zur Uni, um sich einen angehenden Grossbuerger zu angeln und hatten Frisuren zum Abgewoehnen. Gelernt wurde eigentlich gar nichts; wenn ausser Burschenschafts-Kneipen etwas anstand, war es allenfalls Rudern oder Fechten oder sonst irgendeine idiotische Leibesertuechtigung, und - achja - die Wespen stachen frueher auch schlimmer als heute!
Die Professoren waren nur auf ihren Standesduenkel und auf ihre Machtkaempfe innerhalb des Dekanats ge-tuned, und wenn sie damit nicht vollstaendig ausgefuellt waren, gaben sie ihre engstirnige Weltsicht als alleinige Wahrheit an ungebildete Gymnasiasten weiter, deren hauptsaechliches Verdienst darin bestand, aus einem reichen Vaterhaus zu stammen. Die sogenannten Pedelle waren sadistische Kleingeister, die ihre unverarbeiteten Minderwertigkeitskomplexe in Studentenquaelereien auslebten. Mit den Worten eines grossen Dichters: Damals waren kleine pelzige Wesen von Alpha Centauri noch richtige kleine pelzige Wesen von Alpha Centauri. Abscheulich!
Und dann gibt es noch mich: Den Bastard Assistent from Hell, der den ganzen Kaese namens Kulturgeschichte schon seit der Zeit verfolgt, als gewisse langarmige, baumbewohnende Primaten das ewige Gruenzeug satt hatten und sich dazu aufmachten, einen gescheiten Toaster zu konstruieren.
Und ich GLAUBE nicht, dass es frueher irgendwie besser war, und ich GLAUBE auch nicht, dass es frueher irgendwie schlechter war, denn ich WEISS, dass es immer gleich mies und witzig zugleich war! Und soweit ich den goettlichen Schoepfungsplan noch im Kopf habe (es handelt sich dabei um kein besonders umfangreiches Pamphlet; eher so ein paar schwammige Anleitungen!), wird sich daran in absehbarer Zeit auch nix mehr aendern!
Zumindest nicht an der Uni!
Und bestimmt nicht an meiner!
Um nur ein Beispiel zu nennen: Vor ein paar Jahrhunderten - damals noch in Landshut - habe ich einige junge Candidati Studiosi im fortgeschrittenen Stadium der Kneipe muehelos davon ueberzeugt, dass sich die Kraft ihrer Lenden, ihr Gemaecht oder wie immer ihr ES nennen wollt (damals hatte man tolle Namen dafuer und es gab sowieso nur Maenner an der Uni!) um ein Vielfaches vergroessern wuerde, wenn sie DIESES in ihr volles Bierglas tauchen und das Bier sofort anschliessend auf ex hinunterstuerzten. Noch heute haengt in der alten Pinakothek ein - zugegeben vom Alter schon ziemlich eingeschwaerztes - Oelbild des Johann Maurus von Bolden, das einen meiner Studenten, Friedrich Alexander von Freising, beim Vollzug der geschilderten Handlung zeigt (der offizielle Ausstellungsfuehrer der Pinakothek listet das Bild allerdings unter dem Titel 'Tanz auf Tisch im Kellerlokal'! Ich bin uebrigens nicht darauf!).
Heute sitze ich mit meinem Hauptseminar im Biergarten, um den Beginn der Sommerferien angemessen zu feiern, und vielleicht auch die Tatsache, dass trotz meiner Bemuehungen immerhin 4 von 25 Studenten bis zum Ende des Sommersemesters ueberlebt haben. Nach der dritten Mass, wenn das anfaengliche Gealbere und Geschnattere dem bierernsten Schweigen gewichen ist, bei dem jeder in seinen Bierkrug starrt und schwer philosophische Gedanken waelzt oder versucht, den Wuergereflex zu unterdruecken, nachdem also die Bedienung die vierte Mass vor uns placiert hat, ziehe ich wie ganz in Gedanken aus der hinteren Gesaesstasche ein ausrangiertes Handy, packe es mit Zeigefinger und Daumen am Ende der Gummiantenne und tauche es langsam und feierlich in meinen Bierkrug.
Die Studenten glotzen mit haengenden Augenlidern.
Ich trockne das Handy sorgfaeltig mit einer Serviette ab und verstaue es wieder in meiner Tasche. Dann schaue ich ueber den Tisch.
"Is' irgendwas?" knurre ich.
"Aeh ...", sagt der 'Oberschlaumeier' und blinzelt. (Jede Vorlesung, jedes Pro- und Hauptseminar, ueberhaupt jede LEERveranstaltung hat ihren 'Oberschlaumeier'. Man erkennt ihn daran, dass er schon eine Frage parat hat, bevor man den ersten Satz zu Ende formuliert hat, in dem man eigentlich nur darauf hinweisen wollte, dass Stricken, Raubtiere und Kleinkinder in der Veranstaltung nicht erwuenscht seien.)
"Aeh ... warum ... wieso tauschen ... tauchen Schie Ihr Handy in ... in ... aeh ..."
"Wieso?" frage ich verwundert. "Machen Sie das etwa nicht regelmaessig?"
Ich lasse die Frage dramatisch in der alkoholgeschwaengerten Luft haengen und schaue die Studenten der Reihe nach an.
Der Oberschlaumeier ueberlegt 15 Sekunden lang angestrengt und verdreht dabei ein wenig die Augen nach innen. Dann schuettelt er so energisch den Kopf, dass er fast von der Bank gefallen waere. Der neben ihm sitzende Kommilitone packt ihn gerade noch am Kragen und zieht ihn wieder in die aufrechte Position, mit der der Biergartenbesucher gewoehnlich beweist, dass er kein langarmiger, baumbewohnender Primat ist sondern ein Exemplar der Gattung Homo sapiens.
Der Student am anderen Ende der Bank hat inzwischen sein eigenes Handy hervorgezogen und versucht mit gerunzelter Stirne, die beiden schwankenden Handy-Bilder zur Deckung zu bringen.
"Nein?", lallt er schliesslich (er klingt mehr wie "Naaaooooeoeoe?"), "nich sehr regelmaessig ..."
"Woher bezieht ein Handy seine Energie?" frage ich streng und in genau dem Tonfall, den ich normalerweise im Seminar anschlage. Durch alle vier Studenten geht ein deutlicher Ruck und sie starren mich mit glasigen Augen an.
"Aeh ... ausch ... aus dem Akku ... ?"
"Sehr richtig! Und der Akkumulator basiert auf ... ?"
"Des is' Schemie ... irgendwie ... mit Lithschium, oder so ..."
"Chemie? Und zwar genauer handelt es sich um ... ?
"???"
"... Elektrolyte! Und was sind Elektrolyte?"
"... in ... in Fluessischkeit geloeste Schalze ... ?"
"Exakt! Und was passiert mit Fluessigkeit, wenn sie laenger erwaermt wird? Sie ...?"
Schweigen.
"Na! Was passiert mit dem Bier hier, wenn ich es einfach in der Sonne stehen lasse!"
"... es wird ... es wird lack?"
"Es verdunstet natuerlich!!!" bruelle ich. Die Studenten zucken zusammen und setzen sich noch gerader hin, soweit das in ihrem Zustand noch moeglich ist.
"Und dann aendert sich natuerlich die Salzkonzentration der Elektrolyte und das Ding geht kaputt! Und um dem vorzubeugen ist es natuerlich essentiell, die Elektrolyte feucht zu halten. Aber man sollte dafuer kein Wasser nehmen, weil ... ?
Nur angestrengtes Achselzucken.
"Weil Wasser nicht genuegend Salze enthaelt!!!" bruelle ich noch lauter. Die Bedienung schaut kurz herueber. "Und weil dann die Salzkonzentration wieder nicht stimmt! Aber in Bier ..."
Ich hebe wichtig den Zeigefinger. Die Studenten versuchen konzentriert, die beiden Zeigefinger zur Deckung zu bringen. "Im Bier sind genau die richtigen Salze enthalten!" schliesse ich triumphierend.
Durch den Laerm aufgeschreckt kommt die Bedienung an unseren Tisch gewatschelt.
"Sie wolln no a Mass?" Sie schaut kritisch auf unsere noch unberuehrten Bierkruege.
Ich beachte sie nicht weiter. Wenn man seinen akademischen Nachwuchs beLEERT, ist das eine ernste Angelegenheit und man darf sich auf gar keinen Fall ablenken lassen.
"Also verlaengert sich logischerweise damit die Lebenszeit des Akkumulators!" doziere ich den Vortrag zu Ende. Die Bedienung guckt genauso wie die Studenten.
"An Akkumator hamma nich'. Wolln Sie no a Mass? Oda an Russn? Oda an ..."
Kein Mensch achtet auf die Bedienung. Alle beobachten gespannt, wie der Kommilitone an Ende des Tisches sein Handy an der Antenne packt und ueber seinen Bierkrug in Stellung bringt.
"Aba ... aba wos machns jetzt denn da ... wos ..."
Wie unter Trance holen auch die anderen Studenten ihre Handys hervor und lassen sie langsam und feierlich in die Masskruege sinken.
"Ja san die dann alle ... ja seits ihr denn bled oda wos ..." Die Bedienung rennt laut schreiend zum Ausschank.
Wie gesagt, MEINER Meinung nach hat sich gar nichts geaendert: Vielleicht sind ein paar Details anders als damals in Landshut, aber im Prinzip ist es immer noch ziemlich mies und witzig zugleich.
Copyright Florian Schiel 2001
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