Ziemlich früh heute morgen habe ich ein Schild unten an den Haupteingang gehängt:

'Wegen Wasserschaden geschlossen!'

Bald schon bildet sich eine rasch wachsende Menschentraube auf dem Vorplatz, von der die eine Haelfte darueber spekuliert, ob das jetzt aequivalent ist mit 'Vorlesungsfrei!', und die andere Haelfte darueber streitet, ob es nicht 'Wegen Wasserschadens ...' heissen muesse.
Inzwischen durchkaemmen der Hausmeister, der Hilfshausmeister und der Assistent des Hilfshausmeisters die Gebaeude auf der Suche nach Wasserschaeden, und um die Sache abzurunden, hat jemand anonym (!) die Feuerwehr alarmiert, die mit ihrem Loeschzug saemtliche Strassen um die Uni blockiert.

Der Trick ist zwar so alt wie MS-DOS, aber trotzdem sorgt er immer wieder fuer genuegend Verwirrung und Chaos, so dass nur zwei besonders hartnaeckige Studenten es schaffen, sich bis zu meinem Hauptseminar um elf Uhr durchzukaempfen. Das Hauptseminar faellt natuerlich aus - aus Mangel an Teilnahme, und ich habe dadurch Zeit, mit Yogi-Flop hochwissenschaftliche Konversation zu betreiben.
Yogi Flop ist unser Metaphysiker - und zwar beschaeftigt er sich nur mit angewandter Metaphysik. Eines seiner neuesten Projekte ist herauszufinden, wieso die meisten Maedchen, die er anruft, um sie zu einer Verabredung zu ueberreden, bereits wieder auflegen, bevor er auch nur einen Ton gesagt hat. Yogi Flops Theorie ist ziemlich kompliziert und hat etwas mit einer Kombination von telepathischen Wellen und deren Verstaerkung durch Handy-Transmitterstationen zu tun. Seit nunmehr zwei Monaten macht er daher intensive Telefonversuche mit Germanistik-Studentinnen, die inzwischen die Telefonrechnung des LEERstuhls signifikant haben ansteigen lassen (die Telefonversuche, nicht die Germanistikstudentinnen!). Niemand hat es bisher ueber das Herz gebracht, Yogi Flop zu erklaeren, dass die meisten Studentinnen inzwischen Handies mit Rufnummernanzeige haben ...

Wenn Yogi Flop sich von seinen anstrengenden Telefonsessions erholt, lungert bei mir herum:

"Eins."
"Vier."
"Eins. Hast du eigentlich noch eine Ahnung, was fuer Steuern und Abgaben naechstes Jahr auf uns zu kommen?" Yogi Flop zupft sich gedankenverloren ein langes Haar aus dem rechten Nasenloch und betrachtet es mit kritisch-wissenschaftlichen Blick.
"Fuenf. Naja, wie ueblich halt: alles was 'rausgeht, wird erhoeht, alles was 'reinkommt, wird weniger! Die Politiker nennen das: die Einnahmebasis verbreitern!"
"Neun. Ich habe gehoert, dass sie jetzt die Tabaksteuer nochmal kraeftig anheben wollen, weil sie Angst haben, dass nach dem EU-Werbeverbot die Steuereinnahmen sinken."
Ich schnaube veraechtlich durch die Nase.
"Zwei. Dilettanten! Alles Dilettanten!"
"Sechs. Wieso Dilettanten?" will Yogi Flop wissen.
"Fuenf. Weil die in puncto neue Steuern so wenig Phantasie haben wie ein timbuktisches Spitzmaulnashorn."
Yogi Flop gruebelt ein paar Sekunden ueber dieser Auskunft, dann sagt er:
"Wieso haben timbuktische Spitzmaulnashoerner keine Phantasie?"
"Du hast die Nummer vergessen!"
"Verzeihung. Aeh ... drei. Also wieso ...?"
"Fuenf. Hast du schon mal ein timbuktisches Spitzmaulnashorn mit Phantasie gesehen?"
"Acht. Ich hab noch ueberhaupt nie ein timbuktisches Spitzmaulnashorn gesehen. Gibt's die ueberhaupt?"
"Neun. Nein. Deshalb haben sie auch keine Phantasie."
"Sieben. Aha, deshalb!"
"Neun. Wenn ich Politiker waere, haette ich das Finanzproblem schon laengst im Griff."
"Drei. Aha, und wie, bitte schoen?"
"Zwo. Man muss die Leute dort zu packen wissen, wo sie sich nicht wehren koennen. Was nutzt der Quatsch mit Vermoegenssteuer, wenn ich mein Vermoegen einfach nach Luxemburg schieben kann?"
"Drei. Aber ..."
"Acht. Oder die Rentenbeitraege erhoehen! Das Wahlvolk aergert sich und die Unternehmer sind angepisst. Und wer finanziert dann den naechsten Wahlkampf?"
"Fuenf. Aber es ist doch immer irgendjemand angepisst, wenn man Geld eintreibt."
"Sag mal, muss das nicht 'vier' heissen?"
"Hmm, stimmt! Verzeihung, also vier."
"Sechs. Man muss das Geldeintreiben eben so veranstalten, dass es keiner merkt."
"Zwei. Und wie, bitteschoen, soll das gehen?"
"Sechs. Ganz einfach: man macht es so wie andere erfolgreiche Leute."
"Vier. Haeh?"
"Drei. Wer ist der erfolgreichste Mann auf diesem Planeten?"
"Drei. Der erfolgreichste ... keine Ahnung."
"Acht. Mein lieber Yogi, du wirst es nie zu etwas bringen, wenn du nicht mal das beantworten kannst. Hier ist ein kleiner Tipp: der erfolgreichste ist auch meistens der reichste."
"Drei. Du denkst auch immer nur an Geld!"
"Zwo. An was soll ich sonst denken, wenn wir ueber Steuern reden, haeh? Also wer ...?"
"Sieben. Meinst du etwa Old Bill?"
"Neun. Exactement correct."
"Fuenf. Und was hat Bill Gates mit unseren Steuern zu tun?"
"Null. Ich hab ja nur gesagt, mal solle sich Bill zum Vorbild nehmen. Microsoft hat das Geldeintreiben perfektioniert und der Staat sollte sich die Methode zum Vorbild nehmen:
Zunaechst erzeugt man etwas, was eigentlich niemand braucht, aber alle sind aus scheinbar rein rationalen Gruenden ueberzeugt davon, dass man ohne dieses Etwas nicht leben kann."
"Zwei. Du meinst wie Windoofs."
"Acht. Genau. Wie Windoofs darf das Ding nur moderat gesundheitsschaedlich sein und keine Folgekosten fuer den Staat verursachen. Dann erzeugt man einen permanenten Bedarf nach Upgrades, indem man immer groessere und langsamere Applikationen erzeugt statt umgekehrt, was eigentlich der Richtung des Fortschritts entsprechen wuerde."
"Acht. Du meinst, Eichel sollte Betriebssysteme verkaufen?"
"Vier. Das ist doch nur eine Analogie, du Kleinhirn! Der Trick ist naemlich der, dass die Leute FREIWILLIG die Upgrades kaufen, waehrend man zum Steuern zahlen mit vorgehaltener Pistole gezwungen werden muss."
"Eins. Trotzdem glaube ich nicht ..."
"Neun. Als Staat hat man doch alle Freiheiten, Mann! Das Beispiel Microsoft zeigt doch, dass man jeden Bullshit monopolistisch vermarkten
kann, wenn man es nur geschickt anstellt. Sogar als Privatfirma! Was muss man da erst als Staat hinkriegen!"
"Sieben. Da faellt mir UMTS ein ..."
"Eins. Genau! Das war schon gar nicht so schlecht: einige Hundert Milliarden fuer etwas, was nur auf den Papier existiert. Aber die Kundschaft war schlecht ausgewaehlt. Was hab ich davon, wenn nach der ersten Abkassierrunde ueber die Haelfte der Kundschaft pleite ist? Von Nachhaltigkeit gar nicht zu reden ..."
"Sechs. Man koennte eine SMS Steuer einfuehren ..."
"Neun. Nix Steuer! Hast du nicht kapiert? Die Leute wollen ja freiwillig zahlen! Man muss sie nur dazu bringen zu glauben, dass sie es selber wollen und dass sie ohne das gewisse Etwas bzw. dessen neuestes Update nicht leben koennen ..."
"Drei. Staatliches SMS-Monopol?"
"Neun. Bingo! Aber jetzt ist das alles schon zu spaet. Jetzt kann sich Eichel hoechstens noch an Bill parasitieren ..."
"Neun. Inwiefern parasitieren?"
"Drei. Lass deiner Phantasie freien Lauf, Junge! Zum Beispiel: Eine Windoofs-Boot-Gebuehr: 69 Cents pro Booten, Maus-Maut: 37 Cents pro Kilometer, TCP/IP-Paketrouting-Steuer: 9 Cents per hopp, CPU-Cycles-Steuer: Pro MHz 4 Cents pro Jahr, RAM-Steuer: Aller Speicher oberhalb 128 MB wird zum Luxusartikel erklaert, Oekosteuer auf den Elektrosmog, den die ganzen Bildschirme verursachen ..."
"Sieben. Ha! Das wuerde doch kein Mensch mitmachen!"
"Fuenf. Nicht? Wir zahlen doch auch alle klaglos fuer das neue XP; wir lassen sogar zu, dass das Ding, fuer das wir teuer bezahlt haben,
uns per Internet nach unseren Gewohnheiten ausspioniert, damit uns Microsoft noch besser mit seinen Produkten bedienen kann!"
"Eins. Schon. Aber wir brauchen doch alle aktuallisierte Rechner ..."
"Null. So! Brauchen wir? Wir ..."

In diesem Augenblick laeutet mein Telefon. An der Rufnummernanzeige sehe ich, dass es weder der Dekan, noch die R.K.f.H., noch Frau Bezelmann sein kann (in aufsteigender Gefaehrlichkeit geordnet), also hebe ich ab.
"Hallo?"
"Hallo? Ist dort die Rechnerwartung?"
Oooops, und so weiter ...
"Ja?" sage ich mit zuckersuesser Stimme. "Wie kann ich Ihnen helfen?"
Yogi Flop verdreht vielsagend die Augen.
"Ja, also ...", sagt sie in genau dem beleidigten Tonfall, der mir die Zehennaegel aufrollt. "... ich habe schon letzte Woche mal angerufen und
auf Ihren Anrufbeantworter gesprochen. Mein Rechner hat keine Euro-Taste auf der Tastatur ..."
"Ah, ja? Und?"
"Und? Ja, was soll ich denn nun machen, wenn ich Euros eingeben soll?"
Ich werfe eine Blick in den Bastard Ausredenkalender.
"Hmm. Was steht denn bei Ihren Keyboard auf der Taste gleich links neben der Leertaste?"
"Aehm ... da steht 'ALT'."
"Alles klar! Sie haben noch ein ALTES Keyboard der ALTEN Generation. Schmeissen Sie das Ding auf den Muell, gehen Sie zum naechsten
Computer-Shop und verlangen ein aktuelles Keyboard."
"Ja, aber ..."
"Aber lassen Sie sich nicht wieder ein ALTES andrehen! Die hinterhaeltigen Verkaeufer versuchen staendig, ihre ALTEN Bestaende loszuschlagen. Ein funktionierendes Keyboard erkennen Sie daran, dass die Taste neben der Leertaste 'NEU' heisst, klar?"
Sie versichert gluecklich, dass sie sich gewiss kein Keyboard mehr mit 'ALT' andrehen lassen wird, und haengt auf.

Ich lasse den Hoerer nonchalant auf die Gabel fallen und schaue Yogi Flop an.
"Wie war das noch? Wir brauchen alle unbedingt aktualisierte Rechner, wie? Fragt sich nur, fuer was ..."

Copyright Florian Schiel 2002

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