Auf dem Weg zum Kaffeetrinken haelt mich Marianne ploetzlich am Arm fest und starrt konzentriert in Richtung meines prominenten Adamsapfels.
"Leisch! Du hast ja Lippenstift am Kragen!"
Alle Mitarbeiterkoepfe im Kaffeeraum fahren zeitsynchronisiert herum. Frau Bezelmann schaltet ihre Null-Grad-Kelvin-Augen hinter den zentimeterdicken Schutzglaesern auf volle Leistung. (Fast meint man, ihr Grosshirn kreischen zu hoeren: 'Alle Energie in die vordere Sensor-Phalanx. Voller Breiten-Scan!')
"So ein Quatsch!" knurre ich und wehre mich gegen Mariannes gierige Finger, die an meinen T-Shirt-Kragen herumfummeln. "Das ist bloss Tomatensosse von der letzten Pizza!"
Zum Beweis praesentiere ich die Vorderfront meines 'Never touch a running SysOp'-T-Shirts, auf der sich mit etwas Muehe die Zutaten fuer mindestens drei Pizzas 'Quatro Stagioni' zusammenkratzen lassen.
Aber Marianne laesst sich nicht beirren:
"Lippenstift!" konstatiert sie nach gruendlicher Inspektion. "Bordaux-Rot!"
Die versammelte Mannschaft stoehnt unterdrueckt-wolluestig. Jenny beisst sich vor Aufregung in den Handruecken; der Kollege Rinzling murmelt Unverstaendliches und steckt mir verstohlen etwas in die Jackentasche. (Als spaeter nachschaue, ist es ein Aufklaerungspamphlet ueber AIDS!)

Wenn die Beweislast erdrueckend ist, hat es keinen Sinn mehr zu leugnen und schon gar keinen Sinn, etwa die wahre Erklaerung zu geben. Nein, man muss statt dessen zum Angriff uebergehen und fuer taktische Ablenkungsmanoever sorgen:
"Ach, DER Lippenstift!" sage ich. " Der stammt von einem Gaststudenten aus Transilvanien, der in der Sprechstunde versucht hat, bei mir Blut zu zapfen ..."
Marianne schnaubt nur hoehnisch.
"Wohl eher eine GaststudenTIN aus Transexualien!"
"Wie heisssst denn die Ungluecklichchche Sssstudentin?" mischt sich Frau Bezelmann mit blinzenden Brillenglaesern ein.
Sch.....! Wenn mir nicht bald was Plausibleres einfaellt, bin ich meinen schlechten Ruf als Frauenhasser los! Schliesslich kommt so etwas nicht von ungefaehr; da hab' ich jahrelang dran arbeiten muessen! Und jetzt soll das alles passe sein, bloss wegen ... wegen ... naja wegen einer winzigen Spur bordeaux-rot auf meinem Kragen ...
Waehrend ich noch ueberlege, ob mich ein simulierter Herzanfall retten koennte, kommt der Chef in den Kaffeeraum, und in seinem Schlepptau segelt - die Bastard female Assistent from Heck!
"Ah ... aeh ... wie ... aeh ... wie schoen!" sagt der Chef und fuehrt die B.f.A.f.H. galant am Ellenbogen zu unserem Kaffeetisch. "Da ist ja .... hmm ... ist ja die ... aeh ... die ... aeh ... die ganze Familie .... hm ... liebe Familie versammelt."
Wenn der Chef ganz besonders charmant sei, will, bezeichnet er gerne den Haufen untereinander verkrachter und bis zur Blutsfehde verfeindeter Mitarbeiter und Doktoranden als 'seine liebe Familie'. Heute ist er wohl ganz besonders charmant drauf. Kein Wunder: die B.f.A.f.H. zeigt ja auch ein Dekollete, das nichts zu wuenschen uebrig laesst. Immer wenn ich so ein Dekollete sehe, geniesse ich zuerst die Aussicht, bis mein natuerliches Misstrauen bootet. Warum, fragt sich mein Kleinhirn dann, warum sollte MIR jemand so eine ansehnliche Aussicht bieten?

"Hallo!" haucht die B.f.A.f.H. mit perfekt imitierter Doris-Day-Stimme.
Der Chef stellt uns der Reihe nach vor, nicht wissend, dass die B.f.A.f.H. mit Frau Bezelmann und dem Kollegen O. regelmaessig zusammen an Military-Contests teilnehmen. Mit faellt auch, dass sowohl Frau Bezelmann als auch Marianne so sprachlos sind, dass sie nicht mal merken, als der Chef sie vorstellt. Dann folge ich den gebannten Blicken der versammelten Mitarbeiter und stoehne innerlich auf: Die B.f.A.f.H. hat heute Lippenstift angelegt, obwohl sie das sonst nie macht. Und die Farbe? Natuerlich ein sattes dunkles Bordeaux-Rot! Grosser Core-Dump!

Das Stichwort 'LDAP' laesst mich aus meiner Betaeubung hochschrecken. Benommen hoere ich den Chef erlaeutern, was die B.f.A.f.H. hier eigentlich zu suchen hat.
"... aeh ... wird daher vom ... aehm ... vom Rechnerbetreuungs ... hm ..." "Rechnerbenutzerbetreuungsreferat", zwitschert die B.f.A.f.H. hilfreich dazwischen.
"... vom Rechnerbenutzerbetreuungsreferat ein zentraler Dings ... ein zentraler Authentifizierungs- ... aeh ... -server eingerichtet werden .... und unsere ... hm ... reizende Mitarbeiterin hier soll uns bei der .... aehm ... Implementierung helfen ..."
Mit anderen Worten, die 'reizende' B.f.A.f.H. will sichergehen, dass ich ihr nicht in die Protokolle hineinpfusche oder am Ende die Verschluesselungs-Keys klaue! Und in Schale hat sie sich nur geworfen, weil sie nur ueber den Chef unbegrenzten Zutritt bei mir bekommen kann. Normalerweise haette ich sie hochkant aus meinem Territorium 'rausgeworfen - und das weiss die B.f.A.f.H. So ein raffiniertes L....!

Aber in Moment ist das mein geringstes Problem.

"Wie schoen, Sie auch mal kennenzulernen", floetet Marianne so zuckersuess, dass ich das Gift durch meine Gehoergaenge schwappen hoeren kann. Gleichzeitig versucht sie zusammen mit Jenny, die B.f.A.f.H. mit Laserblicken zu durchbohren. Frau Bezelmann strahlt wie ein 10000-Watt-Halogen-Strahler. Ihre eisblauen Aeuglein blitzen vielsagend zwischen den Lippen der B.f.A.f.H. und meinem T-Shirt-Kragen hin und her. Die B.f.A.f.H. merkt, dass irgendetwas nicht stimmt, aber sie kann ja nicht wissen, wie schrecklich es ist!

Ich raffe mich endlich auf und schuettle die Schocklaehmung ab. Wie sagte ich vorhin? Leugnen in so einem Falle ist zwecklos, man muss statt dessen zum Angriff uebergehen!
Ich setze mein gewinnendstes Laecheln auf (das mit den blitzenden falschen Goldzaehnen; ihr wisst schon!), trete an die B.f.A.f.H. heran und sage mit schmalztriefender Stimme:
"Hello, Sweatheart! Du siehst heute wieder einfach smashing aus. Lieb von Dir, dass Du mich auch mal im Buero besuchen kommst ..."
Dabei lege ich meinen Arm galant um ihre Taille und mache ernsthaft Anstalten, die B.f.A.f.H. zu kuessen.
Aus den Augenwinkeln sehe ich, dass Mariannes Augen sich um mindestens 180 Prozent vergroessern und Jenny mit einem schwachen Seufzer in ihren Sessel zuruecksinkt.
Die B.f.A.f.H. dagegen wird erst weiss wie die Wand, dann schlagartig knallrot, holt mit der Rechten weit aus und - scheuert mir eine, dass ich Big Ben in London hoeren kann! Und zwar mit 130 Dezibel, in HiFi und Stereo!

Als ich wieder zu mir komme, ist die B.f.A.f.H. wutentbrannt abgerauscht und meine Reputation als Frauenhasser und Chauvi ist gerettet!

Und das ganze Theater nur, weil ich mich heute morgen beim Rasieren geschnitten und auf meinen T-Shirt-Kragen geblutet habe!

Copyright Florian Schiel 2002