Welch unerwartete Ehre! Der 'Deutsche Bund der Steuerzahler' hat mich in sein Schwarzbuch 2004 aufgenommen! Auf Seite 1428 steht rechts unten: 'Universitätsassistent Leisch, Universität München: Vergeudung von Steuergeldern für unnötige bzw. sinnlose Geräteanschaffungen.' Ist doch schön, wenn man endlich auch mal von halb-offizieller Seite bestätigt bekommt, dass man ganze Arbeit leistet. Man weiss es natürlich selber, trotzdem ist es toll, zu wissen, dass es auch andere wissen!
Ich scanne den Eintrag mit meiner neuen 8000-Euro-Farblaser-Scanner-Kopierer-Drucker-Einheit, vergrößere den Ausschnitt auf DIN A2 und hänge ihn in Gold gerahmt in meinem Büro an die Wand. (Den Goldrahmen habe ich aus dem Büro des Chefs geklaut. Vorher war, glaube ich, sein Doktordiplom drin; jetzt ist es in Frau Bezelmanns 700-Euro-Power-Shredder.)
Kaum bin ich mit dieser anstrengenden Arbeit fertig und waehrend ich mich noch bei einer Zwei-Stunden-Porno-DVD entspanne, bekomme ich schon die Nachwirkungen meines ploetzlichen Ruhms zu spueren: Das Telefon klingelt, und laut Caller-ID kommt der Anruf aus Berlin. Da ich sehr selten Anrufe aus dem Ausland bekomme, hebe ich ab. Ein Herr Klueter ist dran, vom 'Verein fuer ein Besseres Deutschland' (mit grossem 'B', wie er sogleich betont). Er hat ueber mich im Bericht des Steuerbundes gelesen und will sich mit mir ueber 'Ihre Lebenseinstellung und Ihr Verhaeltnis zu Deutschland' unterhalten. Ich sage ihm, dass ich im Moment ueberhaupt gar keine Zeit habe, weil ich die Email der Studenten heute noch nicht nach Sex-Themen ge-scannt habe, aber Herr Klueter laesst sich nicht so leicht abschuetteln. "Ich habe ausserdem einige Geschichten ueber Sie im Internet gelesen", vertraut er mir mit ernster Stimme an. Manchmal koennte ich den Schiel wirklich auf den Mond schiessen! "Ist Ihnen eigentlich bewusst", faehrt Herr Klueter fort, "dass Sie mit Ihrer negativen Haltung nicht nur Steuergelder vergeuden, sondern darueber hinaus unguenstig auf die oeffentliche Moral einwirken? Ihr Verhalten als Vorbild fuer die Studenten kann unter Umstaenden einen unglaublichen volkswirtschaftlichen Schaden nach sich ziehen ..." "Tatsaechlich? Glauben Sie das wirklich?" frage ich ehrlich interessiert. Dieser Aspekt war mir noch nie so klar geworden. Herr Klueter bekraeftigt seine Meinung auf das Energischste. "Das Leben ist eine ernste Angelegenheit", versucht er, mir salbungsvoll ins Gewissen zu reden. "Gerade Sie als Paedagoge muessen doch Ihren Studentinnen und Studenten ein vernuenftiges Weltbild vermitteln, damit sie moralisch fit fuer das Leben sind." "Sie glauben wirklich, dass das Leben eine ernste Angelegenheit sei?", frage ich skeptisch. "Ich glaube es nicht nur", verkuendet Herr Klueter feierlich, "ich weiss es!" Der Typ hatte wirklich besser evangelischer Pfarrer werden sollen. Grosser Core-Dump! Eigentlich haette ich schon laengst auflegen sollen. Aber irgendwie macht es mir Spass, den Typen immer weiter zu reizen. Ausserdem sollte ich jetzt schon laengst den Chef in seiner Sprechstunde vertreten, weil dieser (der Chef) noch in Suedfrankreich weilt. Und je laenger mich Herr Klueter am Telefon festhaelt, desto weniger doofe Studentenfragen muss ich hoffentlich beantworten. Waehrend wir noch munter darueber debattieren, ob das Leben nun eine ernste Angelegenheit sei oder nicht, wird ohne Vorwarnung die Tuere zu meinem Allerheiligsten aufgerissen, und Marianne stuermt herein. Marianne ist ausser dem Chef die Einzige, die sich das leisten kann, ohne vorher eine fette Lebensversicherung abgeschlossen zu haben. Vor allem seitdem sie ihren Titan-Posaunenkasten aus Ebay zurueckersteigert hat, wo ich ihn letzte Woche ge-postet hatte. Marianne traegt heute ein rosa Mini-Dirndl, das mit roten Herzchen bestickt ist, dazu eine rot-weiss-karierte Bluse mit 'Balkon'-Dekollete, das optisch nichts zu wuenschen uebrig laesst. Ein neckisches gruenes Huetchen mit weisser Feder und weisse Lederschaftstiefel mit Stiletto-Absaetzen runden das saisonale Outfit ab. Bevor sie noch den Mund aufmachen kann, hoert Marianne den Herrn Klueter, den ich auf Freisprechen geschaltet habe, damit ich von der Haengematte aus telefonieren kann, emphatisch verkuenden: "Die kuenftige Generation braucht positive Vorbilder, an denen sie sich orientieren koennen. Dazu gehoert nicht nur eine ausgezeichnete Arbeitsmoral und moralisch einwandfreies Verhalten, sondern natuerlich auch ein wuerdiges Auftreten und dezentes Aeusseres ..." "Was'n das fuer ein Schwallkopf?", sagt Marianne verbluefft. "Was will'n der von dir?" "Wie bitte?", fragt Herr Klueter, der Marianne leider nicht sehen kann, irritiert durchs Telefon. Aber Marianne beachtet ihn nicht weiter. Es gibt im Moment Wichtigeres: "Was sitzt du hier so deppert herum?", faehrt sie mich an. "Hast du vergessen, dass wir heute nochmal auf die Wiesn gehen? Gestern sind immer noch 120 Liter Biermarken uebriggeblieben; die muessen wir heute unbedingt niedermachen, weil am Wochenende keiner von uns Zeit hat ... Hopp, jetzt mach schon, dass du aus deiner Haengematte kommst! Der Bus mit den Studenten ist schon weg, aber unten stehen noch vier Taxis, die der Chef aus dem Reisekostentopf bezahlt. Wir warten mal wieder nur noch auf dich. Typisch!" Ich erklaere dem Herrn Klueter vom 'Verein fuer ein Besseres Deutschland', dass ich leider, leider unser interessantes Gespraech beenden muesse, weil ich dringend meinen dienstlichen Verpflichtungen nachkommen muesse. Herr Klueter ist durch Mariannes Auftreten so geschockt, dass er ausser einem unartikulierten Stammeln gar nichts mehr hervorbringt. Ich lege auf und folge Marianne durch den voellig verlassenen LEERstuhl zu den wartenden Taxis.
Auf dem Oktoberfest angekommen installieren sich der Chef und meine Kollegen sofort im Schottenhammel-Festzelt, waehrend die Studenten und HiWis mit den restlichen 80 Biermarken zum Paulaner-Biergarten geschickt werden. Die Stimmung ist noch eher mau: nur einige Hardcore-Norddeutsche und Italiener tanzen auf den Tischen und Spontan-Stripperinnen sind auch noch keine zu sehen. Nach der zweiten Mass gelingt es mir, mich unbemerkt abzuseilen, und ich begebe mich in den hinteren Teil des Festzelts, wo sich der Durchgang zu den Aborten befindet. Innerhalb der naechsten 30 Minuten gelingt es mir, 63 Express-Pinkelgutscheine, das Stueck zu 15 Euro an die Besoffenen zu verkaufen, die mit voller Blase zu den rettenden Pissoirs torkeln. Auf dem Pinkelgutschein steht drauf, dass sich der Inhaber nicht wie alle anderen an der ewig langen Schlange vor den Aborten anstellen muesse, sondern sofort zum Express-Pissoir vorgehen koenne. Erst nach einer halben Stunde alarmiert einer der Express-Pinkler die Saalaufsicht, und die schmeissen mich hochkant raus. Ich klappere noch vier andere Bierzelte ab, bis mir die Gutscheine ausgehen. Einige Tausend Maeuse reicher gehe ich beschwingt hinueber zum Riesenrad, und versuche, es (das Riesenrad) fuer eine Exklusiv-Fahrt an eine Gruppe angeheiterter Neuseelaender zu vermieten. Aber denen ist der Preis von 500 Euro zu hoch, also vermiete ich es fuer 250 Euro an eine Reisegruppe Italiener. Bis die einen italienisch sprechenden Polizisten gefunden haben, bin ich schon laengst im Teufelsrad, wo ich innerhalb weniger Minuten einen schwunghaften Wetthandel eroeffne. (Fuer diejenigen, die noch nie auf dem Oktoberfest waren und das Teufelsrad nicht kennen: Es geht im Wesentlichen darum, dass zwei Besoffene aus dem Publikum (auch weibliche) mit ueberdimensionalen Boxhandschuhen bewaffnet auf einer immer schneller rotierenden Scheibe gegeneinander antreten. Diejenige, die zuerst von der Fliehkraft hinaus ins johlende Publikum katapultiert wird, hat verloren. Es lebe die bayerische Leitkultur!) Da auch hier das Publikum ueberwiegend jenseits der gesetzlichen Fahrtauglichkeit ist, bemerkt fast niemand, dass meine Quoten auf Dauer nur einen Gewinner garantieren: mich! Die paar, die es dennoch bemerken, werden von den Rausschmeissern, denen ich vorher ein paar Scheine zugesteckt habe, unsanft vor die Tuer gesetzt, bevor sie die gute Stimmung vermiesen koennen. Mit prall gefuellter Brieftasche will ich gerade hinueber zum Schichtl marschieren (Oeffentliches Koepfen auf freier Buehne; auch so ein Traditionsbetrieb der Wiesn), wo ich letztes Jahr einem Argentinier fuer 300 EU den abgeschlagenen Kopf im Voraus verkauft habe, als ploetzlich eine schwere, behandschuhte Pranke auf meine Schulter faellt. "Se, bleim' S' amoi stehn!" Der uebliche dreikoepfige Schandi-Trupp steht hinter mir, und der Anfuehrer, ein Riesenkerl mit praechtig ausgebildetem Biermuskel, ist es, der seine schwere Hand des Gesetzes auf meiner Schulter liegen hat. "Se, man hat uns gemeldet, dass Se hiea illegales Glueckspiel betreiben. Was sang' S' 'n dazu?" fragt der Anfuehrer drohend. Wenn ich richtig fuehle, hat seine Kohlenschaufel von Hand inzwischen meinen Kragen gepackt. "Zarbravsk Petrjof destrovje perutschkin", sage ich hoeflich. "Hah?" fragt der Anfuehrer der Schandis, etwas aus dem Konzept gebracht. "Zarbravsk Petrjof", wiederhole ich laechelnd und fahre mit stark russischem Akzent (oder dem, was Deutsche so dafuer halten) fort: "Das ist main Namae: Zarbravsk Petrjof. Ich bien Mitglied daer unkrainischen Ermittlargruppae, die hiea gegaen die russischae Mafia aermittaelt. Hiea ist main Dienstauswais." Ich halte dem Anfuehrer, der inzwischen meinen Kragen losgelassen hat, einen bulgarischen Fuehrerschein unter die Nase, den ich vor Jahren mal auf einen Flohmarkt in der ehemaligen DDR gekauft habe. Bevor dieser das Bild genauer betrachten kann, lasse ich das Ding elegant wie ein Zauberkuenstler wieder verschwinden und sage im Weggehen: "Sie muessaen mich aentschuldigaen, aber ich muss an mainaem Beobachtungssubjaekt dranblaibaen. Wir saehaen uns spaeta!" Bis sich die drei verbluefften Schandis wieder gefangen haben, verschwinde ich durch den Seiteneingang im Paulanerbierzelt. Dort treffe ich auf circa dreissig Mitglieder unserer Studentenschaft, die allesamt in bester Laune sind. Was wuerde wohl Herr Klueter vom 'Verein fuer ein Besseres Deutschland' (mit grossem 'B'!) sagen, wenn er das sehen koennte, denke ich grinsend: Im Moment tanzen alle unsere StudentInnen lauthals den Schlager mitgroelend auf den Biertischen, und es scheint mir, als ob sie das schon eine ganze Weile so machen wuerden. Zum Glueck ist das weder besonders peinlich noch Aufsehen erregend, aus dem ganz einfachen Grunde, als zu dieser fortgeschrittenen Stunde alle Anwesenden genau dasselbe tun. Aufsehen erregend ist vielmehr, was passiert, als die ersten Studenten meine stumme Anwesenheit an ihrem Tisch bemerken: Ein gewaltiger Ruck der Ernuechterung geht durch die ganze Gruppe und in weniger als 15 Sekunden sitzen alle brav und gesittet auf ihren Baenken, halten sich an ihren Masskruegen fest und versuchen krampfhaft, Augenkontakt zu vermeiden. Na, DAS haette der Klueter mal sehen sollen, denke ich triumphierend, von wegen moralisches Vorbild und so! Ich bedenke meine Studenten mit einem letzten grimmigen Laecheln und trete beschwingten Schrittes den Heimweg an.
Copyright Florian Schiel 2005