Die akademische Kaffeepause ist fuer die wissenschaftliche Entwicklung einer Gesellschaft von so fundamentaler Bedeutung, dass sie eigentlich von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefoerdert werden muesste. Ich traue mich zu wetten, dass die meisten revolutionaeren Ideen nicht im stillen Kaemmerlein, unter der Dusche oder im Wartezimmer des Zahnarztes gefunden wurden, sondern dann, wenn Wissenschaftler sich ueber einer Tasse Espresso darueber streiten, wieso es eine idiotische Idee sei, eine Suchmaschine fuer das Internet zu bauen. Natuerlich gibt es da eine gewisse statistische Streuung: nicht jedes Mal, wenn die braune Droge in die Tassen rinnt, wird eine neue Kernwaffe geboren (und das ist vermutlich auch ganz gut so).
Heute zum Beispiel, waehrend des taeglichen LEERstuhl-Espressobar-Outings, streifen wir in lockerer Folge die Themen Unterwasser-Sound-Life-Uebertragung aus der Antarktis, flatulente Kommunikation von Fischen (zu deutsch: sie pfurzen sich eins), der Verteilungsschluessel fuer die neuen Studiengebuehren, wie man Koffein-freien Bohnenkaffee herstellt und das Thema des letzten IG-Nobelpreises: wie viele Bilder muss man von einer Gruppe mit N Menschen machen, um moeglichst keine geschlossenen Augen zu erwischen. Ploetzlich entbrennt ein heftiger Streit um die Frage, ob das Wasser in einem Becken auf der noerdlichen Hemisphaere wegen der Corioliskraft tatsaechlich links herum ablaeuft und in Australien anders herum. Anlass war Yogi Flop, unser esoterisch angehauchter Physiker, der durch heftiges Umruehren in seiner Cappucino-Tasse den dritten Hauptsatz der Thermodynamik demonstrieren wollte.
Normale Leute wuerden jetzt einfach Wikipedia aufrufen und sich auf das Urteil eines unbekannten Spezialisten verlassen, der sich dort mit dem Thema ausfuehrlich beschaeftigt hat. Aber das waere eines echten Wissenschaftlers unwuerdig. "Woher willst du wissen, ob der recht hat?!" fragt Marianne hitzig, nachdem der Kollege Rinzling tatsaechlich Wikipedia von seinem PDA zitiert hat. "Ich wette meinen Posaunenkasten, dass ueber 50% der Artikel in Wikipedia von irgendwelchen maennlichen Wichtigtuern mit zu wenig Haar abgeschrieben wurden ..." Die meisten Kolleginnen pflichten Marianne bei, und somit wird sofort eine Liste von Hypothesen aufgestellt, die sich mit streng wissenschaftlichen Experimenten verifizieren lassen.
Da sich die Besitzer der Espresso-Bar standhaft weigern, ihr Waschbecken voruebergehend in den Dienst der Wissenschaft zu stellen, eilen wir zurueck zum LEERstuhl, wo es merkwuerdigerweise in jedem zweiten Buero ein Waschbecken gibt. (Wie oft habe ich schon waehrend meiner offiziellen Sprechstunde in der Haengematte gelegen, dem verzweifelten Klopfen der Studenten an meiner fest verschlossenen Tuere gelauscht und darueber nachgegruebelt, wieso die Architekten der Universitaet diese Masse ueberfluessiger Waschbecken installieren liessen. Wenn man bedenkt, dass unser Gebaeude urspruenglich nicht etwa fuer die Chemiker sondern fuer die katholische Fakultaet errichtet wurde, wundert man sich noch mehr. Wozu diese allgegenwaertige Moeglichkeit, sich die Haende zu waschen? Folgen die Theos dem Vorbild P.P.s und waschen sich staendig die Haende in Unschuld? Ist der akademische Beruf so zum Kotzen, dass man staendig ein Waschbecken in Reichweite haben muss? Beschmutzt das dauernde Hantieren mit heiligen Buechern die Haende? Eine Notversorgung fuer emeritierte Professoren, um sie waehrend ausgedehnter Bibel-Lektuere vor Austrocknung zu schuetzen? Die Welt ist voller Raetsel...) Wie dem auch sei, fuer unsere momentanen Beduerfnisse ist der LEERstuhl ideal. Wir verteilen uns mit Klemmbrettern bewaffnet ueber ein halbes Dutzend Bueros und lassen das Wasser in die Becken rauschen. Zunaechst ist das Ergebnis ziemlich enttaeuschend, weil in den meisten Becken gar kein sichtbarer Strudel entsteht. Erst als Jenny grosszuegig ihre Puderquaste zur Verfuegung stellt, und wir die Wasseroberflaeche vorsichtig einstaeuben, kann man die Drehbewegung des Wassers einigermassen beobachten. Aber ein schluessiges Ergebnis ist nicht zu erzielen: mal dreht es links, mal rechts herum, manchmal scheint gar nichts zu passieren. "Ich glaube, das kommt daher, dass der Abfluss ein Sieb enthaelt. Das ist nicht ein Loch sondern eine Rosette von Loechern", mutmasst Yogi Flop. "Man muesste ein Waschbecken haben mit nur einem Loch." Wir versuchen, mit einem Schraubenzieher bei einem Waschbecken das Abflussgitter zu entfernen - was aber lediglich dazu fuehrt, dass das Abflussrohr abfaellt, und das Experiment sich auf den Fussboden ergiesst. Der Kollege O. schlaegt vor, den Eimer der Putzfrau zu entfuehren und unten ein Loch hinein zu schneiden. Aber leider begeht Jenny den taktischen Fehler, der Putzfrau erklaeren zu wollen, wozu wir den Eimer brauchen. Kurz danach sind ploetzlich alle Eimer unter Verschluss und die Putzfrau verschwindet auf Nimmerwiedersehen. In diesem Moment sehe ich zufaellig, wie der Hausmeister, der Gehilfe des Hausmeisters und der Assistent des Gehilfen des Hausmeisters gerade ihre Laub-Rechen-Aktion abbrechen und zur obligatorischen nachmittaeglichen Kaffeepause abziehen. Ihre volle Schubkarre haben sie vor dem Biergarten der Cafete stehen lassen. Wir eilen hinunter, leeren die Schubkarre in den naechsten Lichtschacht und schaffen das Ding in die Maennertoilette der Cafete. Mit Hilfe einer alten Versandroehre aus Pappe lassen wir Wasser in die Schubkarre laufen, waehrend der Kollege Rinzling zu den Hausmeistern in die Werkstatt geht und ganz unschuldig einen Akkubohrer ausleiht. Wir bohren fuenf Loecher mit verschiedenen Durchmessern in den Boden der Karre, staeuben grosszuegig Jennys Puder auf die Wasseroberflaeche und beginnen mit unseren Reihenuntersuchungen. Leider ergibt sich auch hier kein klares Bild. Der Kollege Rinzling meint, es koennte an den zahlreichen flackernden Neonroehren im Maennerklo oder an der Luftfeuchtigkeit liegen, waehrend Yogi Flop etwas von 'quantenmechanischen Fluktuationen in Schroedingers Schubkarre' faselt und vorschlaegt, wir sollten alle den Raum verlassen. "Ich glaube ja eher, wir brauchen endlich mal einen vernuenftigen Versuchsaufbau", bemerke ich kritisch und hebe meine italienischen Designerschuhe aus dem mittlerweile knoecheltiefen Wasser. Das findet allgemeine Zustimmung, und wir ziehen uns zu einer wissenschaftlichen Brainstorming-Session in die Cafete zurueck. Waehrend im Hintergrund die empoerten Schreie der Hausmeister und des Putzpersonals zu hoeren sind, die inzwischen unseren letzten Versuchsaufbau entdeckt haben, machen die Kollegen Vorschlaege: "Wie waer's mit dem Kartoffelkessel in der Mensa?" "Das Abklingbecken fuer radioaktive Abfaelle im Reaktor?" "Wisst ihr noch, wie Leisch mal die Tiefgarage ueberflutet hat? Da stand das Wasser mindestens 30cm hoch..." Wir inspizieren kurz die Tiefgarage, koennen aber keinen geeigneten Ablauf finden. "Wahrscheinlich hat damals die Feuerwehr das Wasser einfach abgepumpt", sagt Marianne, "das nuetzt uns auch nichts!" Ploetzlich kommt mir die rettende Idee: "Es ist doch ganz einfach: Wo gibt es in Muenchen riesige Mengen klaren Wassers und wunderschoene Abflussgullis?"
Am folgenden Tag steht im Polizeibericht des Muenchner Merkurs zu lesen, dass es in der vergangenen Nacht in drei staedtischen Badeanstalten zu mysterioesen Faellen von 'Wasserdiebstahl' gekommen sei. Der oder die Taeter seien nach Mitternacht in die geschlossenen Baeder eingedrungen und haetten saemtliche Schwimmbecken bis auf den letzten Tropfen geleert. Der Staatsanwaltschaft zufolge sei es noch unklar, ob die Taeter das Wasser mitgenommen haetten oder es lediglich haben abfliessen lassen - was natuerlich vollkommen sinnlos sei. Ueber Motiv und Herkunft der Taeter tappten die Ermittlungsbehoerden noch im Dunkeln, obwohl zahlreiche Fingerabdruecke, ein Klemmbrett mit unleserlichem Gekritzel sowie ein lilafarbener Schluepfer sichergestellt werden konnten. Das Sonderbarste sei, dass viele der Fingerabdruecke bereits vor dem Eintreffen der Ermittlungsbeamten mit Hilfe von herkoemmlichem Gesichtspuder eingestaeubt und damit sichtbar gemacht worden seien. Die Polizei steht vor einem Raetsel. Sachdienliche Hinweise koennen unter der Nummer ...
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Coffee Break
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