Hier ist er, der befürchtete dritte Teil der Bastard-Bürohengst-Saga.

Heute ist unser unheldischer Held auf einer Betriebsversammlung, wo er eigentlich gar nicht sooo viele Möglichkeiten hat, sich als Bastard zu beweisen. Aber...

von Karl Jahn


Die Betriebsversammlung

Mittwoch 13.30 Uhr. Heute ist bereits früher Arbeitschluss, weil eine Betriebsversammlung angesagt ist. Eigentlich ist es ziemlich ätzend, sich 3 Stunden vor Feierabend noch einmal von seinem Platz erheben zu müssen, aber seit der Vorstand entschieden hat, dass jeder der Anwesenden ein Paar Weisswürste und ein Bier auf Kosten des Hauses bekommt, ist mein Interesse an der Betriebsversammlung beträchtlich gestiegen.
Ich mache mich auf den Weg in die Kantine, wo diese spannende Veranstaltung steigen soll. Aus allen Bürotüren strömen Sachbearbeiter, Obersachbearbeiter, Gruppenleiter. Die Abteilungsleiter und Hauptabteilungsleiter strömen noch nicht. Zum einen gibt es davon nicht so viele, dass sie strömen könnten, zum anderen bleiben die immer in ihren Büros bis unmittelbar vor Beginn der Versammlung, damit der Eindruck erhalten bleibt, dass sie völlig mit Arbeit überlastet sind.
Ich beeile mich, weil ich weiss, dass die besten Plätze, hart umkämpft sind. Für mich sind die besten Plätze diejenigen mit dem grössten Sicherheitsabstand zum Rednerpult.
Ich betrete die Kantine und peile die Lage. Die letzten beiden Reihen sind schon belegt. Haben die Kerle denn gar keine Arbeit, weil sie schon so frühzeitig hier sitzen können? Also in die drittletzte.
Geht auch noch.
Langsam füllen sich die Reihen von hinten nach vorne. Die vorderen 10 Reihen sind noch total leer.
10 Minuten vor dem offiziellen Beginn kommt bereits der Vorstandsvorsitzende aus seinem Bunker angereist.
Er wirft den Mann-von-Welt-Blick durch den Saal, mustert die bereits Anwesenden auf den hinteren Reihen, geht durch den Mittelgang bis in die letzten Reihen und sagt besonders leutselig:"Die Leute, die heute eine Rede halten, spucken nicht. Sie können ruhig weiter nach vorne kommen." Dabei lacht er ein selbsicheres, zufriedenes Lachen. Höfliches, pflichtbewusstes Lachen auf den letzten drei Reihen antwortet ihm - schliesslich ist dem Vorstand ein Witz gelungen - aber niemand steht auf, um sich weiter nach vorn zu setzen, soweit will doch niemand die Höflichkeit treiben. Der Vorstand zieht unverrichteter Dinge wieder ab in Richtung Rednerpult.
Zwei Minuten vor dem offiziellen Beginn treffen auch schon die Abteilungsfürsten ein. Ihr Minenspiel oszilliert zwischen dem gehetzten Eindruck eines Menschen, der zu viel arbeitet und der überlegenen Ruhe, die man von einer Führungspersönlichkeit erwartet.
Sie nehmen ohne zu zögern Kurs auf die beiden vordersten Reihen. Sie halten nämlich im Gegensatz zum Fussvolk die ersten beiden Reihen - wo sie voll um Blickfeld des Vorstandes sitzen - für die besten Plätze. Diese Verteilung der individuellen Vorlieben ist ganz praktisch. Dadurch kommt es nie zu einem Gedränge.
Das Bedienungspersonal der Kantine eröffnet die Betriebsversammlung, indem sie in der ersten Reihe beginnen die Weisswürste und das Bier zu servieren. Der Vorstandsvorsitzende eröffnet die Betriebsversammlung, indem er seine lieben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter begrüsst. Er will uns heute seine Eindrücke einer Bildungsreise des Unternehmerverbandes nach Belutschistan mitteilen. Nach einigen belanglosen Einleitungssätzen über die Lage des Unternehmens und unsere Zukunftsaussichten kommt er gleich zur Sache. "Die Arbeiter in Belutschistan arbeiten 65 Stunden in der Woche; und da frage ich sie, wie wir in Deutschland, wo wie meisten von IHNEN nur noch 35 Stunden arbeiten, konkurrenzfähig bleiben wollen." Ich überlege, ob er bei der letzten Betriebsversammlung nicht etwas ähnlichen über die Elfenbeinküste erzählt hatte. Tief in Gedanken versunken über die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft schweift mein Blick einmal kurz zwei Reihen nach rechts vorne. Dort sitzen die Sekretärinnen aus der Vertriebsabteilung. Da der Vetrieb das Aushängeschild unseres Unternehmens ist, arbeiten dort ein paar ansehnliche Damen. Es hat mich schon lange die Frage beschäftigt, ob Sekretärin 17 oder Sekretärin 14 die längeren Beine hat. Ich beuge mich etwas nach vorne, was den Eindruck erweckt, ich würde dem Vortrag des Vorstandes mit erhöhter Aufmerksamkeit folgen, aber in Wirklichkeit meine Perspektive auf die Beine der Damen verbessert. Ja also, von hier aus scheint es mir, dass Sekretärin 14 etwas hochbeiniger wäre. Als ich letzte Woche einmal durch die Personalstammdatei surfte, suchte ich darin vergeblich nach Angaben über diese wichtigen Charakteristika. Warum sind eigentlich solch wesentliche Daten nicht in der Personalstammdatei eingetragen? Was interessiert es mich, welche Noten Sekretärin Nr. 14 vor 10 Jahren in der Schule hatte. Nichts! Aber ihre Masse (Anmerk. der Red. die ASCII-Schreibweise "Masse" wäre hier sinnentstellend), die wüsste ich gerne. Das sind doch sicher auch Kriterien, die bei Einstellungsgesprächen eine Rolle spielen. Ob eine schriftliche Eingabe zu unserem betrieblichem Verbesserungs-Vorschlagswesen Chancen auf Verwirklichung hätte?
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Der Vorstand:"Die Arbeiter in Belutschistan sind so selten krank, dass das Wort ´Krankheit´ in der belutschistanischen Sprache gar nicht existent ist."
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Mein Blick wandert zu dem Inhalt der Blusen der Sekretärinnen vom Vertrieb. Ich versuche ihre Oberweite zu schätzen und überschlage das arithmetische Mittel. Danach stelle ich die gleiche Rechnung bei den Sekretärinnen des Einkaufs an, die auf der linken Seite sitzen. Ja, ich glaube, bei einem Vergleich der beiden Werte haben die Vertriebssekretärinnen die Nase vorn - naja, Nase?

Endlich sind die Bedienungen bis zu meinem Platz in der drittletzten Reihe vorgedrungen und ich bekomme mein Bier und meine Weisswürste. Ich erwäge eingehend, ob ich die Weisswurst schneiden oder zuzeln soll.
Der Vorstandsvorsitzende ist inzwischen mächtig in Fahrt gekommen. "Der Arbeiter in Belutschistan hat im Jahr 3 Tage Urlaub, die er aus Rücksicht auf die Firma, an Sonntagen nimmt."
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Ich zuzele meine Weisswurst, sauge am Bier und rülpse diskret.
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Der Vorstand:"Die Lohnnebenkosten sind in Belutschistan ein Minusbetrag, weil der Arbeiter an Sonntagen sein Geld nicht in der Kirche in den Klingelbeutel wirft, sondern am Montag in den Firmen in die Opferstöcke wirft."
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Ob dieser Aussichten gebe ich der Bedienung einen Wink, dass sie mir noch ein zweites Bier bringen soll. Das zweite Bier geht leider nicht mehr auf Firmenkosten, sondern muss selbst bezahlt werden; aber das nehme ich momentan in Kauf.
Nach meinem zweiten Bier scheitere ich am Versuch die statistische Standardabweichung der Oberweiten der Vertriebssekretärinnen zu berechnen. Zur nächsten Betriebsversammlung werde ich mein Laptop mitbringen - oder Tee trinken.
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"In Belutschistan bringt jeder Arbeiter sein Werkzeug selbst von zuhause an seinen Arbeitsplatz mit. Das bei der Firma eingesparte Geld kann vom Unternehmerverband zu Bildungsreisen auf die Bahamas benutzt werden und die dort gewonnenen Erkenntnisse helfen den Unternehmern von Belutschistan, weitere Arbeitsplätze zu sichern."
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Der immer entschlossener werdende Tonfall des Vorstandes weist darauf hin, dass das Ende seines sachkundigen Vortrages naht. Jetzt heisst es aufzupassen. Es kommt ein schwieriger Moment im Leben eines Bastard Bürohengstes.
Es gilt es das festgelegt Reglement zu beachten, das man bei keinem Universitätsstudium lernen kann: Nach einer Rede des Vorstandes applaudieren alle Führungskräfte, diejenigen, die es einmal werden wollen und diejenigen, die glauben, es heute schon zu sein.
Keinen Applaus gönnen ihm das ganze Fussvolk und diejenigen, die einmal Führungskräfte waren.
Als Bastard Bürohengst fühle ich mich zu keiner dieser Gruppen zugehörig und deshalb ist am Ende einer jeden Rede höchst diplomatisches Verhalten gefragt. Ich ziehe laut schniefend den Inhalt der Nase hoch, hole schnappend Luft und immitieren einen Nieser.
Einige meiner Sitznachbarn blicken mich unwillig an und ich lächele entschuldigend zurück und stecke meine Hände tief in meine Taschen auf der angeblichen Suche nach einem Taschentuch. Optimales Timing!
Der Vorstand beendet gerade seine Rede und verlässt das Rednerpult, die Abteilungsfürsten in den ersten beiden Reihen applaudieren begeistert, wie es von ihnen erwartet wird. In der dritten Reihe sitzen ein paar unentschlossene, die zumindest andeutungsweise die Hände bewegen. Ich ziehe mein Taschentuch heraus und schneuze mich prustend. Aah, die Situation habe ich überstanden. Der Vorstand kann sich nicht es mir nicht übelnehmen, dass ich mich gerade schneuzen musste und das Fussvolk hat ja gesehen, dass ich nicht applaudiert habe.
Aber, aber, was hab ich denn da gesehen! Müller vom Vetrieb hat apllaudiert. Zählt der sich jetzt schon zu den Köpfen? Bei der letzten Betriebsversammlung apllaudierte er noch nach der Rede vom Betriebsrat - gehörte also noch zu den Ärschen. Na ja, von mir aus.

Der Betriebsrat steht bereits am Rednerpult und fragt, ob es zu den Ausführungen des Vorstandes Diskussionsbeiträge der Belegschaft gebe. Tut es natürlich nicht. Hat es auch in den letzten 10 Jahren kein einziges Mal gegeben. 500 Augenpaare streifen abwesend über Fussboden und Decke. Ich weiss auch nicht, warum der Betriebsrat nach jeder Rede des Vorstandes wieder diese Frage stellt.

Also ergreift jetzt der Betriebsratsvorsitzende selbst das Wort und erzählt vom Solidarprinzip und vom Abgleiten in die Ellenbogengesellschaft.
.....
Ich betrachte noch einmal die Vetriebssekretärinnen und es überkommt mich, meinen Charm spielen zu lassen. Mein drittes Bier bestärkt mich in meiner Absicht. Zuerst muss ich erreichen, dass sie sich nach mir umdrehen. Ich rutsche meinen Stuhl knarrend hin und her. Ich räuspere mich laut. Wirkt noch nicht. Ich immitiere eine Mischung aus Husten- und Erstickungsanfall.

Die erste Sekretärin dreht sich nach mir um. Ich zwinkere ihr zu. Sie blickt mich einen Augenblick mit gerunzelter Stirn an und schenkt mir dann an Lächeln. Aaah. Es ist Sekretärin Nr. 27. Liegt in meiner Hitparade der Beinlängen im oberen Mittelfeld. Immerhin.
Die Sekretärinnen stecken tuschelnd die Köpfe zusammen und die ganze Reihe dreht sich nach mir um. Sie kiechern.
Ich winke dezent mit meinen Augenbrauen.
......
Der Betriebsrat:"Solidarisch ist die Solidarität nur in der Solidarität!"
......
Ich überlege, welchen Ausgang Sekretärin Nr. 27 nach Ende der Betriebsversammlung wählen wird und berechne schon einmal einen Abfangkurs.
.....
Betriebsrat:"Ausserdem lässt sich natürlich die Qualität der Arbeiten aus Belutschistan niemals vergleichen mit der Solidarität, die deutsche Arbeiter herstellen."
.....
Aus Tempus und Duktus der Rede schliesse ich, dass auch hier bald das Ende naht. Ich trinke eilig mein Bier aus und bereite mich wieder auf den schweren Moment des Beifallgebens vor. Ich möchte von den Abteilungsfürsten nicht beobachtet werden, wenn ich für den Betriebsrat applaudiere.
Also ist die Zeit wieder da für einen neuen Niessanfall. Ich stecke beide Hände bis zu den Ellenbogen in die Taschen auf die Suche nach meinem Taschentuch und schaffe es nicht die Aktion abzuschliessen bevor der Beifall für den Betriebsrat verebbt ist.

Ich erhebe mich von meinem Platz und meine optischen Scanner verfolgen Sekretärin Nr. 27. Mein Bordcomputer berechnet ihren wahrscheinlichen Kurs zum Ausgang und die Steuerungsautomatik beauftragt meine Füsse mit voller Impulsgeschwindigkeit einen Abfangkurs einzuschlagen. Dicht vor der Türe bin ich nahe genug bei Sekretärin Nr.27, um eine akkustische Kommunikation initiieren zu können.
"Hallo."
Das hat gesessen!
Sie blickt mich an, ein Lächeln zeichnet feine Grübchen auf ihre Wangen.
"Auch Hallo."
"Wie wäre es, wenn wir die Betriebsversammlung an einem anderen Ort fortsetzen würden. Nur wir zwei?"
"Danke."
"Danke ja oder danke nein?"
"Danke nein!"
"Ohh, ich dachte, weil Sie mich so schön angelächelt haben..."
"Aber doch nur weil Sie überall Weisswurstsenf im Gesicht verschmiert haben!"


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