Student meets Bastard Assistant (1)

Ich sass in dem roten Ohrensessel meines Bruders Lars-Gunnar, der so gar nicht in seine Studentenbude passte. Endlich erlaubte mir die finanzielle Lage, Lars-Gunnar einmal zu besuchen. Das Arbeitsamt glaubte anscheinend, "Dipl.-Inf." bedeutete, dass man schon mal Windows gesehen hat. Die einzelnen Arbeitgeber zweifelten sogar das an! Langsam aber sicher war mein Frust in den letzten Monaten gewachsen. Ich wollte Programme schreiben, wollte meine Kenntnisse zur Virenerkennung anbringen!
Abends setzte ich mich an den PC und liess meinen Fachkenntnissen und meiner Wut freien Lauf: Ein Virus entstand.
Von meiner Diskettenschachtel wanderte mein Blick zu Lars-Gunnars Spiegel. Zum hundertsten Mal fragte ich mich, ob meine Haut eher die Farbe von starkem Kakao oder von Milchkaffee hatte. Anders als meine glatthaarigen, blonden jüngeren Geschwister war ich aus einer kurzen, aber glücklichen Ehe hervorgegangen. Meine Mutter, eine schwarze Amerikanerin, war nun schon 26 Jahre tot und noch immer Dorfgespräch.

Wo blieb nur Lars-Gunnar? Er wollte doch nur kurz einen Assistenten wegen der Zwischenprüfung fragen, und jetzt war er schon zwei Stunden weg.
Da kam er. Schweissüberströmt stand er in der Tür, und das nicht nur wegen das heissen Juniwetters. Frust, der an Verzweiflung grenzte, stand in seinem Gesicht. Beinahe hätte er mich mit seinem Rucksack getroffen, den er wie gewohnt schwungvoll in seinen Ohrensessel schleudern wollte.
"Mann o Mann, pass auf, dass du deine Schwester nicht erschlägst!"
"Lieber den Assi! Der ist ein Schwein, ein Schwein, ein Schwein!
Weisst du was, heute wollte ich zu ihm in die Sprechstunde, und er hat mich rausgeschmissen und behauptet, ich hätte seinen Versuch ruiniert. Aber ich hab etwas gesehen."

"Hat sich dein fotografisches Gedächtnis mal wieder gemeldet?"
"Er hatte da jede Menge Fenster auf seinem Bildschirm und tat so, als ob er angestrengt arbeitet. Aber ich sag dir was: Es war exakt, auf den Buchstaben genau der gleiche Bildschirm wie vor einem halben Jahr, als ich zu ihm in die Studienberatung wollte."

Eine schöne Abwechslung, von einem Mann angeschrien zu werden, der nicht auf mich wütend ist. Ich glaubte ihm, weil ich ihn von klein auf kannte.
Langsam legte sich seine Wut. "Schwesterchen, ich muss leider gleich wieder weg zu meiner Arbeitsgruppe. Du hast ja den Schlüssel. Kannst dich ja mit meinem Computer vergnügen. Und heute abend gehen wir zusammen ins Kino. Die werden sich wundern, wo ich so eine flotte Frau aufgegabelt habe! Und meine Arbeitsgruppe erfährt als allererstes die Schweinerei von xxx." Wenn sie dir glaubt, lieber Lars. "Schönen Nachmittag!"

Wenn er sich Bilder merken kann, dann kann ich mir Namen merken.
Ich setzte mich an seinen PC und verfasste einen Brief:

Landesamt für Bildung und Wissenschaft -Abteilung für Löhne und Gehälter


Sehr geehrter Herr xxx!
 Wir müssen Ihnen mitteilen, dass Sie unser Schreiben vom 21. 2. nicht beantwortet haben. Hiermit fordern wir sie auf, uns die geforderten Unterlagen unverzüglich zuzusenden. Wenn sie bis zum 15. 5. nicht bei uns eingegangen sind, sehen wir uns gezwungen, ensprechende Massnahmen zu ergreifen.

Dieses Schreiben wurde maschinell erstellt und ist ohne Unterschrift gültig.


Dann entwarf ich noch diverse englischsprachige Zeugnisse und Bescheinigungen und druckte alles aus. Das Virus veränderte ich noch schnell so, dass irgendwann der Satz auf dem Bildschirm erschien: "Mit Studenten spielen gefährdet Ihre Karriere." Dann klebte ich auf die Diskette den Aufkleber: "Spiele".
Ich zog mein afrikanisches Keid an, das ich mir einmal in Hannover gekauft hatte. Vor dem Spiegel machte ich mir eine möglichst exotische Frisur. Eine afrikanische Tasche hatte ich leider nicht. Der griechische Rucksack vom Flohmarkt musste reichen.

Der Weg zur Uni war kurz. Schnell fand ich das Institut und auch das Assistentenzimmer. Ich zog meine Schuhe und Socken aus und packte sie tief in meinen Rucksack. Das "Versuch läuft"-Schild ignorierend, klopfte ich an und trat ein.
"Guten Tag, ich habe gehört, Sie machen Studienberatung. Ich wolle folgendes wissen..." Ich sprach langsam, als ob ich nach den deutschen Wörtern suchen müsste.
Entsetzen breitete sich auf seinem Gesicht aus. "Was bilden Sie sich eigentlich ein. Haben Sie das Schild nicht gesehen?"
"Oh, Entschuldigung. Was ich fragen wollte: Ich habe in Togo Abitur gemacht. Wird das hier anerkannt? Nein? Ich zeig Ihnen mal meine Unterlagen. Ich holte die Papiere aus meinem Rucksack und legte sie auf seinen Schreibtisch, den Drohbrief zuunterst.
Zwischen ihm und den Zeugnissen steckte die Diskette. "Das sind alles Kopien, die können Sie behalten. Und ich sage Ihnen eins: Ich habe mir mal angesehen, was die Schüler hier so im Abitur können müssen. Das ist bei uns Stoff der neunten Klasse gewesen! Also sagen Sie mir bloss nicht, ich muss hier noch mal die Schulbank drücken!"
"Sagen Sie mal, was bilden Sie sich eigentlich ein?"
"Vielen Dank für die ausführliche Beratung. Ich werde es mir überlegen."
Bevor er körperliche Gewalt anwendete, verliess ich lieber den Raum.

Eigentlich gefiel ich mir in der Rolle einer Afrikanerin.
Schade, dass ich Europa noch nie verlassen hatte. Vielleicht würde ich das Kleid für den Kinogang heute abend anbehalten.


© Copyright 1996 Ruth Stubenitzky