Als ich wieder von einem langweiligen Arbeitstag nach Hause kam, fand ich in meinem Briefkasten einen dicken Brief von Lars-Gunnar. Ich setzte mich vor meinen Computer, wo ich gerade einem Antivirusprogramm den letzten Schliff gab. Sollte ich es verkaufen? Aber zunächst riss ich den Brief auf. Eine Diskette war dabei.
Die Zwischenprüfung hatte er bestanden, aber ihm waren zwei völlig korrekte Rechengänge als falsch angestrichen worden.
Auch ich konnte beim besten Willen keinen Fehler darin finden.
Seine Lerngruppe hatte ihm das "auf den Buchstaben genau wie vor einem halben Jahr" natürlich nicht geglaubt, sondern zog ihn heute noch damit auf. Aber dass der Assi ein Schwein war, war nach der Zwischenprüfung allgemeiner Konsens.
Dann kam der interessanteste Teil:
"Ansonsten schicke ich Dir eine Diskette mit einem Pascal-Programm, wo Du mal den Fehler suchen sollst. Bei mir zu Hause hat es geklappt und beim Hiwi nicht mehr. Und jetzt macht es bei mir auch komische Sachen."
Ich lud das Programm und sah es mir an. Es war fehlerfrei. Ich liess es laufen. Komische Sachen? Absolutes Chaos wäre wohl der agebrachtere Ausdruck. Aber ein Chaos, das mir sehr vertraut vorkam... Oh-oh. Und schon wurde der Bildschirm schwarz, und da stand in grell türkisen Buchstaben: "Mit Studenten zu spielen gefährdet Ihre Karriere." Und der Computer reagierte auf gar nichts mehr, genau wie ich es programmiert hatte. Ich wusste wirklich nicht, ob ich lachen oder weinen sollte. Stattdessen setzte ich mich ans Telefon und rief Lars-Gunnar an.
"Hallo?"
"Hallo Lars, weisst du, dass du mir gerade ein Virus auf meine Festplatte gebracht hast?"
"Na, das dürfte für DICH doch kein Problem sein."
"Aber für dich und den Hiwi und noch einige andere Leute."
"Wie, meinst du das jetzt ernst? Also ich habe garantiert kein Virus geschrieben, sondern ein ganz normales Pascal-Programm."
"Ja, und ein fehlerfreies. Hast Du nur auf Deinem Computer gearbeitet oder auch in der Uni?"
"Ich hab das kurz vor dem Abgeben noch mal ganz schnell in der Uni laufenlassen und den Namen geändert. Und seitdem auch schon wieder bei mir."
"Hör zu, Lars, ich komme heute Nacht noch zu dir und bringe ein Antivirusprogramm mit. Kann ich übers Wochenende bleiben?"
"Kein Problem. Oh-oh, wo die Uni sich das Ding wohl wieder eingefangen hat. Ich frag mich, wer sowas schreibt. Hoffentlich funktioniert dein Antiprogramm. bis bald!"
Worauf du dich verlassen kannst. "Bis bald!"
Ich brauchte eine volle Stunde, um mein eigenes Chaos aus dem Computer zu beseitigen. Das Antiprogramm lief nun, nur wollte ich es eigentlich noch etwas publikumswirksamer gestalten. Doch jetzt drängte die Zeit.
Eigentlich hatte ich kein Geld für die Bahnfahrt. Trampen? Allein? Nachts? Als farbige Frau? Eigentlich hatte ich das Geld für die Bahnfahrt doch.
Lars-Gunnar und ich sassen zusammen am Frühstückstisch, und das Programm was bereits auf seinem PC installiert und das Virus gelöscht. Und schon wieder musste ich mir die neuesten Schweinereien des Assistenten anhören. Eine richtige Wut stieg in mir hoch. Dann machte mein Bruder sich auf den Weg zu einem Bekannten, mit dem er schon lange verabredet war. Und ich blieb mit seinem Computer allein.
Ein paar Veränderungen mussten doch noch sein. Zunächst sollte das Antiprogramm Viren suchen und löschen. Gleichzeitig sollte es - das war mir jetzt klar - auch den Namen des Assistenten suchen und nach Zufallsverfahren löschen oder verändern. In allen geläufigen Encodierungen. Denn sein Name war ja das einzige, was mir bekannt war. Besser wäre es natürlich, seine Kontonummer oder wenigstens seine Email-Adresse zu kennen. Moment Ich konnte ja auch eine Email-Adresse verändern lassen, die seinem Namen zugeordnet war.
Aber wie sollte ich es in Umlauf bringen? Das alles würde viel zu viel Zeit kosten. Statt dessen machte ich ein Virus daraus, das sich von selbst verbreitete. Das würde mich nicht daran hindern, es später trotzdem noch als normales Programm zu verkaufen.
Lars-Gunnar hatte mir sein Passwort für die PCs an der Uni zur Verfügung gestellt. Ich ging dorthin und liess mein Antiprogramm sich auf die Festplatten speichern. Wie fortschrittlich, dass PC-Labor Samstag vormittags geöffnet zu haben!
Als ich am Assistentenzimmer vorbeikam, merkte ich, dass meine Wut noch nicht befriedigt war. Aber zur Zeit konnte ich nicht mehr tun. Ausser einen Zettel an seine Tür zu hängen:
"Sprechstunde täglich 9-11 Uhr".
Pünktlich zum Mittagessen war ich wieder bei Lars. Er war bester Laune. "Na, wollen wir hoffen, dass das Antiprogramm gut funktioniert. Kann ich das eigentlich meinen Freunden geben?"
"Hmmm..."
"Mach doch ein PD-Programm draus. Frei kopierbar, und wer die neue Version haben will, schickt dir Geld."
Eigentlich eine gute Idee. Das werde ich machen.
"Ja, warum nicht. Obwohl man es vielleicht sogar verkaufen könnte."
"Na, du willst wohl auf Kosten anderer reich werden oder was. Am Ende hast du noch das Virus selbst geschrieben..."
© Copyright 1996 Ruth Stubenitzky
Teil 2
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