Ohne richtigen Schwung lösche ich die Backup-Tapes von heute nacht, indem ich sie kurz in unser Praktikums-Cyclotron halte. Auch die Nachricht von Frau Bezelmann, dass die R.K.f.H. nach 11 Jahren zähen Verhandelns kleinbeigegeben und mir die umstrittene Spesenabrechnung vom Wiener Opernball zu 100% anerkannt hat, kann mich nicht aufmuntern.

Ein User ruft an und will wissen, wie man den Inhalt eines Directories auf den Bildschirm listen kann. Ich sage es ihm zerstreut, und erst als ich schon wieder aufgelegt habe, fällt mir auf, dass ich vergessen habe, seinen Account für die nächste Löschaktion zu notieren.

Marianne kommt mit ihrem Posaunenkoffer herein und erzählt mir eine komische Geschichte von einem neuen transilvanischen Monster-Virus, der nur Windoofs-Rechner befällt und beim Losbrechen einfach Linux darüberinstalliert.
Ich sage müde: "Soso, ganz nett..." und starre weiter auf meinen Bildschirmschoner.

Marianne guckt mich mit grossen Augen an und verschwindet in Richtung Sekretariat. Zwei Minuten später ist sie mit Frau Bezelmann im Schlepptau wieder da, und die beiden Damen beobachten mich durch die offene Bürotüre und konferieren flüsternd. Ich beachte sie nicht weiter und starre apathisch in meinen Bildschirmschoner.

"Ich habe hier einen Account abgefangen, der verbotenerweise die Modemleitung des Sekretariats benutzt hat", sagt Frau Bezelmann schliesslich mit bösen Lächeln. "Sie können den User löschen, wenn Sie wollen."
"Später vielleicht", murmele ich, ohne aufzusehen. "Legen Sie's da drüben hin."
Weiteres heftiges Geflüster auf dem Gang. Kurz darauf wird Kollege O. hereingeschickt.
"Hören Sie mal, Leisch", sagt er energisch. "So kann das nicht weitergehen:
die Studenten im Praktikum tanzen uns auf der Nase herum und machen, was sie wollen. Können Sie nicht mal wieder für Ordnung sorgen? Nein? So wie vor 4 Jahren, als wir nachher den Katastrophendienst alarmieren mussten...
He! Leisch! Ich rede mit Ihnen!"
Mit übermenschlicher Anstrengung schaffe ich es, den Blick vom Bildschirmschoner zu lösen, und werfe dem Kollegen O. einen Blick so voller Schwermut zu, dass er betroffen verstummt. Hinter ihm, auf dem Gang stehen Frau Bezelmann, Marianne und einige andere Mitarbeiter und halten den Atem an.
"Äh... ist... ähm... ich meine, ich alles in Ordnung... mit Ihnen...?"
stottert Kollege O. und lässt verlegen seinen Blick durch mein Büro huschen.
Mit Grabesstimme versichere ich ihm, dass es gar nicht besser gehen könnte.
Alles palletti, super-trouper, totales Schmackes, wenn er verstehe, was ich meine.
Dem Kollegen O. bleiben die Worte in der Kehle stecken, aber er nickt heftig, ein paar Male zuviel auch noch.
"Ich meine", sage ich mit Ghouls-Stimme, "schauen Sie sich doch um."
Ich mache eine theatralische Geste mit dem rechten Arm, die den ganzen elektronischen Müll, meine drei Workstations, die Videoanlage, mein Filmarchiv, die Online-Kameras und die Mini-Bar umfasst.
"Wie kann man sich hier nicht wohlfühlen? Ich habe ja alles, was ein normaler, empfindsamer Mensch braucht. Dazu meine ganzen lieben und aufopfernden Kollegen, die mich respektieren und unterstützen..."
Von draussen hört man gerührtes Schniefen; Marianne hat Tränen in den Augen.
Der Chef, der gerade dazugestossen ist und ausnahmsweise ruhig zuhört, putzt sich verlegen die Brille.
"... und die vielen fleissigen und lernwilligen StudentInnen, die mir täglich mit ihren aussergewöhnlichen Leistungen soviel Freude bereiten. Sehen Sie, ..."
Ich hole tief seufzend Luft.
"... es muss mir ja ausgezeichnet, ja geradezu blendend gehen. Alles andere wäre ja Sünde..."
Kollege O., der sich während dieser schmalztriefenden Ansprache vor Verlegenheit drei Anzugknöpfe abgedreht hat, nickt nochmal heftig, sagt mit erstickter Stimme: "Dann ist's ja gut." und schlängelt sich aus dem Zimmer.
Die Menge vor meinem Büro verläuft sich schniefend, und ich wende mich mit tieftraurigem Blick wieder meinem Bildschirmschoner zu.

Als ich wieder aufblicke, steht nur noch Frau Bezelmann vor meiner Türe. Sie hat die Mundwinkel nach unten gezogen und ihre Augen blitzen angriffslustig hinter den dicken Brillengläsern. Als ich sie fragend anblicke, kommt sie stampfend herein und beugt sich drohend über meinen Schreibtisch.
"Wenn ich es nicht besser wissen müsste", zischt sie wie eine Sandviper in der Daumenschraube, "würde ich sagen: Sie sind verliebt!!!"
Ich spüre ein ungewohntes brennendes Gefühl von den Backen zu den Ohren hinterziehen, und Frau Bezelmann richtet sich triumphierend auf:
"Aha!" sagt sie befriedigt. "AHA!"
Ich protestiere aufs heftigste und mache sicherheitshalber die Türe zu. Frau Bezelmann flezt sich ungeniert in meinen Besuchersessel und fixiert mich gespannt.
"Wer ist denn die Unglückliche? Eine von von unseren Lohnsklavinnen? Weiss die Arme schon von diesem Schicksalsschlag?"
Ich strafe Frau Bezelmann mit absoluter Nichtbeachtung und starte SadoVixensIII++, um meine Nerven zu beruhigen. Frau Bezelmann lässt sich dadurch nicht im mindesten beirren und schwelgt weiter in romantischen Aussichten:
"Oder ist es am Ende eine STUDENTIN??? Und das in Ihrem Alter! Also wirklich! Wann darf man denn mit einer Verlobung rechnen? Haben Sie sich schon mal nach Ringen erkundigt? Sie werden staunen, was die Dinger kosten.
Ach, so eine Romanze in der Arbeit ist doch immer wieder erfrischend. Man fühlt sich gleich 20 Jahre jünger, nicht?"
"Dann wären Sie jetzt auch schon über 60", knurre ich zwischen den Zähnen.
Frau Bezelmann hört nicht mal zu:
"Erinnern Sie sich noch, als der Kollege O. vor 2 Jahren... war auch eine nettes Häschen, nicht?... schon mal an Blumen gedacht... natürlich haben Sie ihr noch kein Sterbenswörtchen gesagt, da wette ich... kann den jungen Paar ja gerne behilflich sein zusammenzukommen, wenn Sie wollen... sind doch sonst nicht so schüchtern, oder? Oder wie?... Kultur, das ist es, was die jungen Damen heute wollen. Laden Sie sie doch mal ins Konzert ein... auf jeden Fall rechtzeitig vor der Hochzeit zusammenziehen, sage ich. Nichts schlimmeres als, wenn man jemanden noch nie beim Zähneputzen beobachtet hat... "
Frau Bezelmann gerät immer mehr ins Schwärmen:
"... als Trauzeuge wäre doch der Chef nicht schlecht? Haben Sie sich schon Gedanken gemacht?... nun rücken Sie schon mit dem Namen raus; Sie wissen doch eh, dass ich es über kurz oder lang herausbekomme... und erst letzte Woche habe ich zu Frau Kurzmaul von der deutschen Philologie gesagt: der Leisch, habe ich gesagt, der Leisch, der macht's auch nicht mehr lange als Hagestolz... haben Sie überhaupt ein gescheites Bett zu Hause? Einheizen ist ganz wichtig, das ist eine alte Sache, einheizen... und natürlich sollten Sie mal zusammen Essen gehen; das ist immer ein guter Anfang, und ... haben Sie ihr wenigstens schon mal eine Email geschrieben? Ah, ich weiss! Bestimmt haben Sie ihre Workstation sabotiert und nachher blitzschnell wieder 'repariert'. Das finden die Mädchen von heute sicher beeindruckender als wenn man den Abfluss wieder frei bekommt. Zu meiner Zeit... den Verheirateten-Zuschlag bekommen Sie ja dann auch noch, vergessen Sie das mal nicht, und... also wenn Sie noch keine weibliche Trauzeugin wissen, bin ich gerne bereit einzuspringen.... Nero könnte zur Hochzeit eine weisse Taftschleifen tragen... und Kinder natürlich. Stellen Sie sich das nur vor: lauter kleine Leischs mit Nintendos in den rosa Patsch-Händchen; wie goldig..."

Schliesslich reisst mir der Geduldsfaden und ich sage:
"Sie befinden sich leider - wie immer - vollkommen auf dem Holzweg, Frau Bezelmann!"
"Hah!" sagt sie selbstsicher. "Ich hab' doch Augen im Kopf. Dieses dauernde Herumgeschmachte hier... das Gesülze, wie gut es Ihnen doch gehe... und vorhin haben Sie eindeutig rote Ohren bekommen; rot wie Strauchtomaten..."
"Also gut", lenke ich resigniert ein, "damit Sie endlich Ruhe geben - und vor allem keine weiteren Gerüchte in dieser Richtung ausstreuen - will ich Ihnen sagen, was hier läuft..."
"Jaaa...?" Brau Bezelmann beugt sich gespannt nach vorne.
Ich räuspere mich zögernd; dann stehe ich auf, lasse die Jalousien herunter und prüfe nochmal, ob die Türe auch wirklich zu ist.
"Ich habe... oder vielmehr, es ist in gewisser Weise richtig..."
Frau Bezelmann beugt sich noch weiter vor; mein Besuchersessel kippt bedrohlich nach vorne.
"Jaaaaa...???"
"... ist in gewisser Weise richtig, dass ich mich... äh... sagen wir mal... verguckt habe..."
"Jaaaa...!"
"...und zwar in eine bildhübsche, ausserordentlich tüchtige... ausserdem muss ich gleich dazu sagen, dass sie eben genau die Eigenschaften mitbringt, die ich so sehr schätze, wenn Sie verstehen, was ich meine..."
"Jaaa...???"
"... zum Beispiel ist sie 5mal schneller als alle, die ich bisher so kennengelernt habe... und Sie bringt ein Outfit mit sich... Ich sage Ihnen nur..."
"Jaaaa...?"
"... zweiundzwanzig Zoll, bei nur vierzehn Zoll Tiefe..."
"Zweiundzwanzig Zoll?!"
"Ja, ist das nicht traumhaft?"
"Was soll denn das heissen: zweiundzwanzig Zoll!"
"In der Diagonale natürlich. Und sie hat Streifenmasken statt ordinären Lochmasken. Ausserdem ist sie von Haus aus mit einer ganz unglaublich gut designten Funk-Maus ausgestattet..."
"Häh???!!!"
"... und ihre Benchmark-Werte schlägt alle Rekorde. Sie war der erklärte Star auf der letzten CeBit, und ich weiss nicht, wie ich ohne sie weiterleben soll. So ein Baby! Smooth, cool, einfach super durchgestylt, wenn Sie verstehen, was ich meine..."
Frau Bezelmann starrt mich einen Augenblick fassungslos an, dann kriegt sie das Übergewicht, und der Besuchersessel rutscht ihr unter dem Hintern weg.
"Aber... aber", stottert Frau Bezelmann, während sie verzweifelt kämpft um ihr körperliches und seelisches Gleichgewicht wiederzufinden, "wovon reden Sie denn da überhaupt?!"
Ich mache ein erstauntes Gesicht.
"Na, von der neuen SGI Mega 9978 natürlich! Die coolste Workstation der Neuzeit. Der Traum meiner schlaflosen Nächte. Was dachten Sie denn?"
Frau Bezelmann macht den Mund auf - und macht ihn wieder zu. Dann erhebt sie sich langsam und gemessen aus meinem Besuchersessel, schiesst durch ihre zwei Zentimeter dicken Brillengläser einen Blick auf mich ab, der jeden Normal-Sterblichen auf der Stelle in ein armseliges Häuflein Asche verwandelt hätte, und sagt mit eisigster Stimme und aller weiblichen Würde, die sie nach diesem Schock noch aufbringen kann:
"Das war die bodenloseste Beleidigung der gesamten weiblichen Hälfte der Menschheit, die man sich vorstellen kann. Das werde ich Ihnen nie, nie, nie, niemals vergessen. Darauf können Sie Gift nehmen!!!"
Spricht's, dreht sich auf dem Absatz um und schwebt kerzengerade und mit einen Ausdruck äusserster Missbilligung auf den verkniffenen Gesichtszügen aus meinen Büro.

Endlich wieder allein! Ich krame den Silicon Graphics Katalog unter meiner Schreibtischunterlage hervor und vertiefe mich wieder in die atemberaubenden Schönheiten, die dort reihenweise abgebildet sind. Mit zitternden Händen blättere ich auf Seite 23.

SGI Mega 9978 - what a cool babe!!!

© Copyright Florian Schiel 1998

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