Obwohl ich sonst eigentlich treu meiner Devise folge, dass Papierpost ein Anachronismus ist und daher in den Papierkorb gehört, schaue ich alle paar Wochen mal bei Frau Bezelmanns Post-Kaktus vorbei. Es könnte ja sein, dass ein Tantiemen-Scheck für meine Artikel in 'Hackers's Havoc' draufgespiesst ist. Oder meine Beförderung zum Kanzler. Heute finde ich nur einen Brief von der R.K.f.H. ('Reisekostenstelle from Heaven' für die neu Hinzugekommenen). Das ist merkwürdig, weil ich eigentlich vor Oktober nicht mit irgendeiner Erstattung rechnen kann; die R.K.f.H. hat normalerweise eine mittlere Halbwertszeit von sechs Monaten bei der Bearbeitung von Reisekostenanträgen!
Ich reisse den Umschlag auf, und es ist tatsächlich eine Abrechnung - aber von einer Dienstreise, die ich erst letzte Woche eingereicht hatte!
Sofort werde ich misstrauisch und sehe mir das Dokument genauer an: der Briefbogen schaut allerdings ganz genauso aus wie sonst, nur das Kürzel S.-T. des Sachbearbeiters kenne ich nicht. Ein modriger Geruch geht von dem Brief aus und bei genauerem Hinsehen ist die unleserliche Unterschrift in lila Tinte ausgefertigt.
Ich gehe in den zentralen Personal-Computer der Uni und suche alle Mitarbeiter mit den Initialen S.-T. heraus. Ich brauche nicht lange zu suchen: Sethimus Typhon, Sachbearbeiter Referat ZYX, Reisekostenstelle.
Komischer Name. Beunruhigenderweise kann ich auf Sethimus Personalakte nicht zugreifen. Das übliche Passwort, das ich schon seit Jahren kenne, wird zwar akzeptiert, aber die entsprechenden Felder der persönlichen Daten bleiben leer. Irgendjemand muss das Record manipuliert haben.
Plötzlich fällt mir etwas ein. Ich gehe in die Bibliothek und schaue in der Encyclopedia Britannica unter 'Sethimus' nach. Der Begriff wird nicht geführt. Aber dafür finde ich:
'Seth-Typhon' - altägyptischer Name des höchsten Widersachers der Götter!

Ich eile zurück in mein Büro und stürze mich auf die Abrechnung. Zwei Stunden später habe ich sie nach allen Regeln der hohen Bürokratie in sämtliche Einzelheiten zerpflückt, und tatsächlich: der Kerl hat an 6 (in Worten sechs!) Stellen die Abrechnung zu meinen Ungunsten gefälscht.
Normalerweise wäre mir das niemals aufgefallen, weil ich den Sachbearbeitern der RKfH nicht mal zutraue, ihre eigenen Schuhe binden zu können.

Ich dunkle das Licht in meinem Büro ab und schalte die Hintergrundfarbe auf sämtlichen Computer-Schirmen auf rot! Es sieht ganz so aus, als ob sich das erste Mal ein ernstzunehmender Gegner im Feindeslager eingefunden hätte:
ein 'Bastard Bureaucrat from Hell' (B.B.f.H.)!

Ungeklärte Fragen durchschwärmen mein fieberhaft klickendes Grosshirn wie nicht-alloziierte Zombie-Prozesse: Wie ist die R.K.f.H. an den gekommen? Was hat er vor? Und vor allem: Auf welcher Seite steht er denn nun?!

Ich wische sämtliche Akten und Prüfungsaufgaben vom Tisch, besorge mir aus der Cafeteria 3 Liter Cola und stürze mich in die Netzwerke. Zwei Stunden später werfe ich völlig erschöpft das Handtuch. Dieser Sethimus Python ist in keiner Datenbank, in keiner Web-Seite, in keiner Use-Group, geschweige denn in einer Mailing-Liste zu finden. Weder das BMBF, noch das BKA, noch der Verfassungsschutz, ja, nicht mal die Telekom hat je von diesem Namen etwas gehört. Ich durchforste die Datenbanken der Sozialversicherungen, des ADACs, die Verkehrssünderdatei in Flensburg und die Kunden-Datenbank vom Quelle-Versand: nichts.
Es sieht so aus, als sei der Kerl gerade erst aus dem Nichts entstanden!

Da ich nicht an Metaphysik glaube (es sei denn ich wende sie selber an!), greife ich schliesslich zum Telefon und rufe die Nebenstelle an, die auf dem Bescheid vermerkt ist. Sicherheitshalber verwende ich das Telefon vom Kollegen O., der gerade wieder einmal für seine Frau unterwegs ist, um lila gefärbte Seidenunterwäsche zu besorgen. (Irgendwann einmal muss ich noch mal herausfinden, warum es unbedingt lila Unterwäsche sein muss. Aber das ist einen andere Geschichte!)

Ich wähle und nach nur einmaligem Klingeln meldet sich eine sanfte, schmeichelnde, jedoch männliche Stimme mit :
"Hallo?"
"Ich würde gerne mit... äh... Sethimus Typhon sprechen", sage ich nach der ersten Überraschung.
"Am Apparat!" sagt die Stimme etwas kühler, und im Hintergrund höre ich ganz leise etwas knacken. Ich drücke sofort auf die Gabel und starre nachdenklich auf den Hörer in meiner Hand. Gleich darauf klingelt das Telefon. Und das, obwohl ich zuvor noch die ISDN-Identifikation an O.s Nebenstelle gesperrt hatte!
Ich nehme den Finger von der Gabel:
"Hallo?"
Kurzes Schweigen. Dann dieselbe kühle Stimme.
"Wer spricht denn da?"
"Hrrm", räuspere ich mich, "sollte das nicht besser ich fragen? Sie haben doch angerufen."
"Das kann man sehen, wie man will", kommt prompt die Antwort. "Schliesslich haben SIE gerade von diesem Apparat hier angeläutet, oder nicht Herr... äh.. Herr O.?"
Im Hintergrund höre ich hektisch ein Keyboard klappern.
"Ah, ja", fährt die Stimme genüsslich fort. "O., der einzige Mitarbeiter der Uni, der in der Newsgroup 'alt.fetishist.purple.underwear' subskribiert hat. Ansonsten... hmm... ...ansonsten sind Sie wohl eher ein unbeschriebenes Blatt. Ihre letzte Dienstreise liegt übrigens schon drei Jahre zurück."

Frechheit! Ich fühle, wie sich meine Nackenhaare aufstellen. Mit ein paar simplen Proxy-Server-Abfragen hat dieser Reisekosten-Bastard das Geheimnis um O.s Unterwäsche-Eskapaden gelöst, hinter dem ich schon eine ganze Weile her war. Ich fühle wie mein Berufsethos aus seinem Dornröschenschlaf erwacht und empört sein grausiges Haupt erhebt.
"Hier spricht nicht O.", sage ich würdevoll, "sondern Leisch!"
"Oh!" sagt die Stimme nach einer minimalen Pause. Und dann noch einmal:
"Oh! Ah ja. Ich habe schon von Ihnen gehört. Der Schriftverkehr mit Ihnen beansprucht hier einen ganzen Aktenschrank für sich alleine...."
"Freut mich zu hören", kontere ich gelassen. "Andererseits muss ich unumwunden zugeben, dass mir Ihre Arbeitspraktiken zutiefst missfallen. Nicht von der zugrunde liegenden Technik her! Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Ich bin der erste, der sich vor einer geschickt gefälschten Abrechnung verbeugt."
Tatsächlich mache ich unwillkürlich eine leichte Verbeugung vor dem Telefon. Bastard Typhon bleibt vorerst still.
"Andererseits", fahre ich fort, "muss ich feststellen, dass Ihre Arbeit meine Kreise hier empfindlich stört. Normalerweise hasse ich Leute, die mit Filmzitaten um sich werfen. Aber in diesem Falle kann ich nur kurz und knapp sagen: 'Es kann nur einen geben!'"
"Was schlagen Sie vor?"
"Wir tragen das jetzt sofort aus, im alten Innenhof hinter dem Thermodynamik-Gebäude. Als der Beleidigte habe ich die Wahl der Waffen."
Der B.B.f.H. zögert keine Sekunde: "Ok. Bin in fünf Minuten da!"
Ich schnappe meinen Waffenkoffer, fahre die Schilde hoch und haue ab.

Eine Stunde später schleppe ich mich mit letzter Kraft in Frau Bezelmanns Büro. In meinen italienischen Designer-Schuhen schwappt es bei jedem Schritt und die nassen Strähnen hängen mir ins Gesicht.
Frau Bezelmann taxiert mich kritisch und zieht ihre Mundwinkel nach unten.
Das macht sie immer, wenn sie etwas besonders amüsiert, oder wenn ihr eine ausgesucht gemeine Idee kommt.
"Was ist denn mit Ihnen passiert? Haben Sie ihre Krokodil-Verwandten im Zoo besucht?"
Ich lasse mich wortlos in den Besuchersessel fallen, und sofort bildet sich darunter eine Pfütze. Der Rabe Nero krächzt missbilligend.
"Wenn Sie das nächste Mal schwimmen gehen", fährt Frau Bezelmann mit blitzenden Brillengläsern genüsslich fort, "empfehle ich Ihnen, vorher die Kleider abzulegen. Waren Sie am Eisbach im FKK-Gelände und sind den nackten Häschen dort hinterhergepaddelt? Oder sind Sie in einen Feuerwehreinsatz geraten? Ach nein, ich weiss! Das ist der neueste Schrei aus New York, nicht wahr? 'Dive and Drip' oder 'Cool Water Fashion' oder..."
"Ich habe meine Ehre verteidigt", unterbreche ich würdevoll Frau Bezelmann, bevor sie noch mehr Blödsinn verbreiten kann. "Ein neuer Mitarbeiter der R.K.f.H. und ich, wir haben uns duelliert. Mit Turbo-Water-Guns. 'Es kann nur einen geben!'"
"Aha", bemerkt Frau Bezelmann interessiert und betrachtet mich noch einmal eingehend von oben bis unten. "Scheint's haben Sie nicht besonders gut abgeschnitten, wie?"
Ich ziehe mir den rechten Schuh aus und giesse Wasser in Frau Bezelmanns Papierkorb.
"Nun ja, sagen wir mal, es war ein Unentschieden", sage ich zögernd und verstumme wieder. Frau Bezelmann schaut aus, als ob sie vor Neugierde gleich platzen würde. Ich lasse sie noch ein paar Sekunden leiden, dann berichte ich von meinen Heldentaten.

Zuerst lief alles ganz gut. Sethimus entpuppte sich als unverschämt attraktiver, perfekt durchgestylter Jung-Spunt von etwa 25 Jahren. Dunkle kurze Haare, sonnengebräuntes Gesicht, Drei-Tages-Bart, Goldkettchen am Handgelenk. Der B.B.f.H. akzeptierte die Turbo-Water-Gun als Waffe, obwohl er - wie er kritisch bemerkte - erst gestern beim Friseur gewesen war. Nach einigem Vorgeplänkel zog ich mich Scheinrückzugsgefechte vortäuschend langsam in Richtung des alten C-Rohr-Anschlusses bei der uralten Renovierungsbaustelle zurück. Es klappte alles hervorragend, bis der B.B.f.H. direkt in der Ziellinie des Feuerwehrhahns stand. Dann ging alles sehr schnell: ich riss den Hahn herum und das Wasser schoss mit 8 Atü auf meinen Gegner zu. Er dagegen hatte plötzlich eine Wasserbombe (mit Wasser gefüllter Luftballon) in der Hand - weiss der Geier, wo er die plötzlich herhatte - und warf. Ich versuchte auszuweichen und geriet voll in den Wasserstrahl des C-Rohrs. Die Wucht des Strahls schleuderte mich auf meinen Kontrahenten und wir blieben beide genau an der Stelle liegen, wo das meiste Wasser herunterkam. Beinahe wären wir ertrunken, und diese Kolumne hätte ihr ehrenvolles Ende gefunden.
Zwei Hausmeister, die vom Kampflärm angelockt, die Szene begafft hatten, zerrten uns an den Beinen aus der Gefahrenzone.

"Und jetzt?" will Frau Bezelmann unzufrieden wissen. "Das ist doch keine eindeutige Entscheidung! Kann es also doch mehr als einen geben?"
Ich zucke grimmig mit den triefenden Schultern.
"Noch ist diese Kolumne nicht zu Ende...."

Fortsetzung folgt (irgendwann... vielleicht auch nicht...)

© Copyright Florian Schiel 1998

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