Eine unbedingt notwendige Grundvoraussetzung fuer die fortdauernde Existenz an einem Universitaets-LEERstuhl ist eine schier unersaettliche wissenschaftliche Neugier. Wer die nicht mitbringt, kann sich mit seinem Diplom gleich bei der staedtischen Wertstoffverwaltung bewerben. Der wahre Wissenschaftler zeigt sich eben erst darin, dass er in allem und jedem sofort ein Feld fuer wissenschaftliche Betaetigung wittert. Anlaesse gibt es dazu in Huelle und Fuelle, zum Beispiel 'die Katze'.

'Die Katze' hat - wie bereits erwaehnt - ihren angestammten Nist- und Schlafplatz in der alten PDP11 aufgeben muessen, als diese endlich und unter Beileidsbekundungen aller Programmierer ueber 50 verschrottet wurde, und hat daraufhin mein offenes 24-Zoll-Display als neuen permanenten Aufenthaltsort ausgewaehlt. Dort liegt sie normalerweise (d.h. 23einhalb Stunden an Tag) auf dem Schutzgitter des Zeilentrafos und ihre Rueckenfellhaare straeuben sich behaglich (22 kV Hochspannung am Gehaeuse!). Die restlichen 30 Minuten des Tages sind mit den ueblichen feliden Aktivitaeten voll ausgefuellt: Fressen (Marianne fuettert, so dass ich mich darum zum Glueck nicht kuemmern brauche!), Saufen, Nero auflauern, sich von begeisterten Studentinnen im Gang streicheln lassen und Doro, die brunzbloede Dogge des Hausmeisters, watschen. Man sieht, dass der Terminkalender 'der Katze' voll verplant ist. Trotzdem findet sie zwischendurch noch manchmal eine paar Minuten, um meine Mausleitung durchzunagen. Nach der sechsten ausgetauschten Maus beginne ich eine streng wissenschaftliche Versuchsreihe mit dem Ziel, herauszufinden, welche chemischen Stoffe 'die Katze' abhalten koennten, permanent meine Mausleitung zu attackieren. Ueblicherweise sucht sich der erfahrene Wissenschaftler in diesem Falle einen Bloeden, sprich eine/n Studentin/en (da wars wieder!), die/der unter Vorspiegelung falscher Tatsachen ("... wissenschaftlicher sehr interessant! Eignet sich vorzueglich als Thema einer Magisterarbeit ...") die ganze Arbeit erledigt. Dummerweise sind gerade Semesterferien und weit und breit kein Student in Sicht, nicht mal unten in der Cafeteria, wo normalerweise
immer irgendwelche Theologen herumlungern. Beim Kaffeetrinken versuche ich Jenny zu ueberreden, wo die doch schliesslich Tierfanatikerin ist und immer noch unter dem dringenden Verdacht steht, 'die Katze' am LEERstuhl
eingeschleppt zu haben - obwohl sie das immer vehement abstreitet. Aber Jenny hat gerade vom Chef die ehrenvolle Aufgabe uebertragen bekommen, fuer die naechste internationale Konferenz einen halbstuendigen Vortrag ueber ein Thema ausarbeiten zu duerfen, von dem sie keinen blassen Schimmer hat und der Chef auch nicht (auch eine der typischen Aufgaben eines Universitaetsassistenten). Daher ist sie logischerweise permanent am Rande eines Nervenzusammenbruchs und hat keine Zeit fuer 'die Katze'. Frau Bezelmann hasst Katzen (das kommt davon, wenn man unter dem permanenten Einfluss eines alten zerzausten Raben steht!), der Kollege O. interessiert sich nur fuer Lebensformen auf Silikonbasis (es sei denn, sie tragen lilafarbene Reizwaesche!) und der Kollege Rinzling findet alle Tiere unhygienisch und kann es sowieso nicht fassen, dass wir einen potentiellen Tollwut-Uebertraeger wie 'die Katze' an diesem LEERstuhl dulden.

Folglich muss ich selber 'ran. Natuerlich gehe ich streng wissenschaftlich vor!
Zu allererst sammle ich eine Liste von Eigenschaften, die die gesuchte Substanz zur Abschreckung 'der Katze' aufweisen muss:

- wird von 'der Katze' gehasst; am besten extrem ekliger Geruch.
- kommt hier im Hause vor (habe schliesslich keine Lust, ewig herumzulaufen; Wissenschaftler laufen nicht, Wissenschaftler sitzen!)
- haftet an Mauskabeln (auch laengerfristig)

Zweitens stelle ich eine Hypothesenliste auf mit moeglichen Kandidaten nach Prioritaet geordnet (Leute! Schreibt das am besten mit; so arbeitet man wissenschaftlich!):

1. Einheitsbratensauce in der Cafeteria (die 'Dunkle')
2. Kollege Rinzlings Herz-Staerkungs-Tonikum
3. Rasierwasser von Sethimus Typhon, dem Bastard Bureaucrat from Hell
4. In Aceton aufgeloeste Schwanzfedern von Nero, dem Raben
5. Kloreiniger des Hausmeisters

In der dritten Phase folgt das eigentliche Experiment zur Verifikation der Hypothesen. D.h. 'die Katze' muss den verschiedenen Substanzen ausgesetzt werden.

Ich gehe hinunter in die Cafeteria, setze meine Nasenklemme auf und pirsche mich vorsichtig an den Schalter der Essensausgabe heran. Die griechische Essensausgabe-Walkuere vom Dienst schaut mich fragend an:
"Maultaschn mit Sahnesoss oda Sauabradn mit Nuddln?"
Nach kurzem Zoegern - die weisse Knoblauch-Milchpulver-Zwiebel-Fett-Emulsion ('Sahnesauce') schaut heute ganz besonders eklig aus - bleibe ich doch lieber bei meiner urspruenglichen Hypothese 'Dunkle Einheitsbratensauce' und frage die Walkuere, ob sie mir nur einen achtel Loeffel Bratensauce in einem Schaelchen zu rein wissenschaftlichen Zwecken ueberlassen koenne.
"Hah?! Wos?! Maultaschn mit Sahnesoss oda Sauabradn mit Nuddln?"
Ich seufze innerlich und erklaere in gebrochenem Griechisch, dass ich eigentlich gar nichts essen wolle, sondern nur ein ganz kleines bisschen Sauce fuer ein wissenschaftliches Experiment benoetige. (Falls ihr euch jetzt wundert, woher der BAfH Griechisch kann: Das lernt man zwangslaeufig, wenn man laengere Zeit in unserer Cafeteria ein- und ausgeht! Andernfalls verhungert man ganz einfach!). Nachdem die griechische Walkuere begriffen zu haben glaubt, worum es mir geht, fuellt sie voller Begeisterung ein Salatschaelchen bis zum Rand voll mit dunkler Bratensauce. Ich balanciere das Ding vorsichtig nach oben in mein Allerheiligstes, nervoes darauf bedacht, bloss nichts von dem Untersuchungsobjekt auf meine makellosen Beinkleider zu kippen (schliesslich sind die nicht saeurefest!).
Ich halte 'der Katze' die Schale mit der ekligen Bruehe unter die Nase - und diese faengt sofort an, begeistert zu schlabbern! Ich fass' es nicht!
Um ganz sicher zu sein (ein Wissenschaftler darf um der Wahrheit Willen nicht mal davor zurueckschrecken!) tauche ich meinen kleinen Finger in das Untersuchungsobjekt 1 und koste vorsichtig. Uuuuaaaarrrgggghhhh!!! Ich glaube, Hypothese 1 koennen wir vergessen!

Ich gehe in den Gang vor das Buero des welt-einzigen Profi-Hypochonders, Kollege Rinzling, und schreie mit der typisch knarrenden Stimme unseres Hilfs-Hausmeisters:
"Paket von Luisenapotheke! Hat jemand bestellt was von Luisenapotheke?!"
Hinter Rinzlings verrammelter Buerotuere rumpelt es, Medizinflaeschchen fallen reihenweise zu Boden, dann werden alle sechs Sicherheitsschloesser entriegelt und Rinzling streckt vorsichtig seinen Kopf aus dem Tuerspalt. Er traegt wie ueblich seinen chirurgischen Atemschutz:
"Wou auft aw hoen?!" ruft Rinzling mir zu.
"Wie bitte?"
Rinzling lueftet aergerlich seine Atemschutzmaske:
"Wo ist er hin, verdammt noch mal?!"
"Der Hausmeister? Oh, zum Sekretariat - DENKE ICH", gebe ich bereitwillig Auskunft.
Rinzling humpelt im Affentempo in Richtung Sekretariat davon und vergisst, seine Buerotuere abzuschliessen. Im Grunde phantastisch, wie schnell sich jemand mit mindestens 16 diagnostizierten Erkrankungen des motorischen Apparats noch bewegen kann, wenn es darauf ankommt! Aber ich bin nicht hier, um Rinzling zu bewundern, mich interessiert nur sein Herz-Staerkungs-Tonikum. Ich schluepfe in das Buero - und die geballte Menthol- und Kampferkonzentration in der Atmosphaere trifft mich wie ein Dampfhammer mit 200 km/h. Ich halte den Rest normaler Luft in meiner Lunge an und spaehe mit traenenden Augen durch den dichten Inhalatornebel. Auf dem Regal hinter Rinzlings Workstation, die wegen Ueberhitzung auf dem letzten Loch pfeift, steht die gesuchte Magnum-Flasche. Mit letzter Kraft rette ich mich mit dem Untersuchungsobjekt 2 auf den Gang. Unglaublich,
was man als Wissenschaftler alles auf sich nehmen muss!
Zurueck in meinem Buero schaut 'die Katze' schon ganz interessiert, was ich da als naechstes anschleppe. Ich setze die Nasenklemme auf und halte 'der Katze' einen halben Teeloeffel zur Begutachtung hin. 'Die Katze' fackelt nicht lange und taucht begeistert ihre riesige rosa Zunge in die dunkle, knisternde Fluessigkeit. Hypothese 2 auch beim Teufel!
Wieder koste ich vorsichtig und spucke sofort wieder aus, in hohem Bogen in den RAID-Server, der in der Ecke im Dauertest vor sich hin brummt. Buuuuaaaaarrrrggghhhhh! Kein Wunder, dass Rinzling dauernd ueber Magengeschwuere klagt!

Nach all diesen selbstlosen Selbstversuchen ist mir etwas schummrig zumute, um nicht zu sagen: kotzuebel! Im Raid-Server in der Ecke zischt und brodelt es leise. Ausserdem habe ich einen grauenhaften Geschmack im Mund, so ungefaehr, wie wenn man nach einem sehr wilden !PowWow! mit dem Kopf halb in der Kloschuessel wieder zu sich kommt und jemand vorher vergessen hatte hinunterzuspuelen.
Zum Glueck habe ich meine Zweit-Zahnbuerste immer im Buero - falls ich mal beim DARWYN-Spielen laenger als drei Tage nicht von PC wegkommen sollte. 'Die Katze', in der irrigen Annahme, dass ich noch weitere Leckereien fuer sie bereit habe, verlaesst ihren Stammplatz auf meinem Display und springt auf das Waschbecken, um die Zahnpasta auf der Buerste zu inspizieren. Und siehe!
Sie weicht so entsetzt zurueck, als haette ich ihr mit der elektrischen Viehpeitsche eins uebergezogen!
Ich gehe ihr langsam hinterher und trage die Zahnbuerste wie der Exorzist das Kreuz vor mich her. 'Die Katze' bekommt einen Klobuerstenschwanz, faucht wuetend und entweicht im Galopp auf den Gang. Ich natuerlich hinterher! Vor dem Labor 3 begegnen wir Marianne, die dort gerade den Videobeamer aufraeumt. Entgeistert schaut sie uns mit aufgerissenen Augen an, wie wir um die Ecke fegen: 'die laut klagende Katze' und ich mit der hoch erhobenen Zahnbuerste im Schweinsgalopp.
"Leisch! Was ...? Bist du jetzt voellig dem Wahnsinn verfallen?!"
Ich mache eine Vollbremsung, gucke Marianne an und suche verzweifelt nach einer passenden Erklaerung. Da mir keine einfaellt, stecke ich einfach die Zahnbuerste in den Mund und gehe wuerdevollen Schrittes und heftig buerstend in mein Buero zurueck, wo die Mausleitung auf ihre erste Zahnpasta-Shampoonierung wartet.

Copyright Florian Schiel 2002

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.